Wie man das Wenige vermehrt, hat der österreichische Bauernsohn Johannes Gutmann früh gelernt. Versteckt in einem winzigen Waldviertler Dorf baute der eigensinnige Unternehmer die Bio-Weltmarke Sonnentor auf. Seine nächste Saat: Ein Selbstversorgerhof in der Idylle.


Sunto, ob ich Sunto kenne, fragte mich die junge Frau aus Kuala Lumpur ganz aufgeregt. Wir saßen beim Frühstück in einem typisch malaysischen Langhaus, versteckt im tiefen Regenwald von Borneo, und sprachen gerade über europäische Essgewohnheiten. Ich schüttelte den Kopf, schade, sie so zu enttäuschen.  Aber es ließ ihr keine Ruhe: Ich müsste schon von Sunto gehört haben! Wo das doch aus meiner Heimat Österreich kommt. Sie sprang vom Tisch auf, rannte auf ihr Zimmer und hielt mir kurz darauf eine Packung Tee unter die Nase. „Ach, du meinst S-O-N-N-E-N-T-O-R. Klar, das kenne ich.“

Sie freute sich und erzählte: In einem Dorf, das sie kürzlich für eine malaysische Bio-Laden-Kette beruflich besucht habe, seien jahrelang sämtliche jungen Menschen weggezogen. Aber seit Sonnentor dort Felder ökologisch bewirtschaften lässt, kämen manche von ihnen wieder. „Die haben jetzt wieder gut bezahlte Arbeit.“

Einige Wochen später muss ich an diese Urlaubsbegegnung denken, als sich im niederösterreichischen Dorf Sprögnitz der Sonnentor-Hauptsitz zwischen Mohnblumenfeldern vor mir aufbaut. Wie konnte der Gründer Johannes Gutmann in diesem 150-Einwohner-Kaff ein weltweit umtriebiges Kräuterhandelsunternehmen mit 35 Millionen Jahresumsatz aufbauen? Eines, das nicht nur südostasiatische Dörfer belebt, sondern auch das kleine Sprögnitz verwandelt hat: Einen großen Spielplatz, ein überregional gefragtes Bio-Restaurant, den Betriebskindergarten, sogar einen Beachvolleyballplatz gibt es. Busladungen an Sonnentor-Fans in Leinenhosen und regional produzierten Waldviertler-Lederschuhen landen im Stundentakt auf dem Wiesenparkplatz. Sie kommen, um bei einer Führung durch die Abfüllhallen oder bei einer Kräuterwanderung durch die umliegenden Felder das Sonnentor-Gefühl am eigenen Leib zu erfahren. Nicht ohne nachher im „Genussreich“ ein bisschen rosarotes „Zaubersalz“ aus den Bergen Pakistans zu kaufen.

Menschen in der Heimat Arbeit geben

Es ist eine filmreife Szene, als Johannes Gutmann schließlich im T-Shirt mit der lachenden Sonnentor-Sonne und seiner markanten ausgebeulten Lederhose von einem Hügel langsam zu uns herunter schreitet. Strahlend, als würde er aus der Höhe gerade zum ersten Mal sehen, was er mit seinen Leuten geschaffen hat – und freudig überrascht sein.

So viel steht fest: Niemand würde sich außerhalb von Sprögnitz für Sprögnitz interessieren, hätte er nicht beschlossen, ausgerechnet an dieser Stelle „aus alten Steinen“ etwas aufzubauen. Und in einer Region Arbeitsplätze zu schaffen, die zu den strukturschwächsten in ganz Österreich zählt. Die beruflichen Chancen von Wien sind nur eineinhalb Stunden entfernt, darum lebe auch das halbe Waldviertel dort, sagt Gutmann. Er freut sich über jeden, den er zurückholen konnte. „Dass wir Menschen eine berufliche Zukunft in ihrer Heimat ermöglichen, ist mir sehr wichtig.“

Nehmen, was andere liegen lassen

Für heute umgerechnet 30.000 Euro hat er in Sprögnitz vor 24 Jahren einen riesigen Grund mit mehreren verfallenen Gehöften gekauft; an seinem vorigen Standort im nahen Zwettl wäre er im Gewerbegebiet gelandet und hätte niemals ohne Fremdkapital so schnell wachsen können. „Da hätte ich mehr als das Zehnfache bezahlt für einen betonierten Ort ohne Geschichte.“

Doch gerade die Geschichte ist ein großer Unternehmenswert bei Sonnentor. Sie ist untrennbar verbunden mit dem auffällig gekleideten Mann, der unermüdlich und mit fast schon penetrant guter Laune erzählen kann: vom Studenten aus der Provinz, der kurz nach Wien ging und es dort hasste, „wie sich in der Straßenbahn alle anschweigen.“ Der dann in die Heimat zurückkehrte und sich für die Kräuter der Waldviertler Bauern interessierte, als nicht einmal sie selbst etwas damit anfangen konnten. Und wie er als junger Geschäftsmann daraufhin Partnerschaften mit seinen ersten Lieferanten formte, die nun schon bald 30 Jahre bestehen. Man kennt diese Bauern, denn Sonnentor wirbt heute noch mit ihren Geschichten und Gesichtern.

Querschießen erlaubt

Viele Waldviertler wollten damals nicht recht verstehen, was der „Öko-Spinner“ mit seinem Kräuterstand auf dem Bauernmarkt von Zwettl eigentlich vorhatte. Die Angewohnheit mancher Leute,  „nur zu jammern und in der Nase zu bohren“, war Gutmann immer schon fremd. Er sieht Chancen, wo andere nur Risiken vermuten.

Auch darum leitet heute ein ehemaliger Installateur Sonnentors gesamte Produktionsplanung. Wir treffen ihn, als wir die Lagerhallen abschreiten, in denen sich Säcke mit getrockneten Pflanzen bis unter die Decke in Regalen stapeln. Gutmann nimmt einen Sack Rosenblüten aus Tschechien heraus, saugt ihren Duft ein und blättert zur Prüfung eine Knospe auf. „Wäre sie innen braun, hätte man zu spät geerntet.“

Den direkten Kontakt mit dem Produkt bekommen bei Sonnentor auch die meisten Mitarbeiter immer wieder. Es ist normal, dass eine Verkäuferin beim Verpacken von Tees oder Gewürzen hilft, falls im Geschäft wenig los ist.

Die Tür zum Verpackungsraum zieren die 50 Flaggen der Sonnentor-Abnehmerländer. Hier kleben Waldviertler Frauen mittleren Alters bei fröhlich dudelnder Radiomusik händisch die Etiketten auf französische Kaffeegläser. Eine Frau mit Kopftuch schaut auf und lächelt, als sie den Chef erblickt. Gutmann und seine Frau haben sich trotz der Belastung mit drei kleinen Kindern entschieden, die Syrerin samt Familie aus dem katastrophalen Flüchtlingslager Traiskirchen in ihr kleines Gästehaus zu holen und sie zu beschäftigen.

Nicht nur gut, auch profitabel

Die ganze altmodische Handarbeit hat Gutmann natürlich schon oft Spott eingebracht. Aber er gibt lieber mehreren Menschen Arbeit als einer einzigen Maschine. Das ist nicht nur Philanthropie, denn die Methode erlaubt ansonsten unrentable Chargen: Ab 150 bestellten Stück läuft bei Sonnentor der Etikettendrucker. So kann selbst das kleinste Reformhaus beliefert werden – nicht dumm in einem wachsenden Markt. Und ein Weg, die Werte ökologischer Landwirtschaft global zu verbreiten.

Gutmann sagt selbst, er spüre nach fast 30 Jahren noch stärker als früher den Antrieb, „die Gesellschaft zu verändern.“. Als Arbeitgeber verhält er sich darum gewohnt unkonventionell: Indem er einen Kindergarten mit Ganztagesbetreuung einrichtet, seine Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze selbst gestalten lässt und sehr viel Verantwortung an sie abgibt. Das Tagesgeschäft überlässt er anderen; die Strategie bespricht er mit einem engen Kreis langjähriger Mitstreiter – und lässt sie machen. Das ist sicherlich auch Selbstschutz, denn in seinen frühen Jahren als Unternehmer konnte er nicht so für seine beiden Töchter da sein, wie er es heute für seine Tochter und die Zwillinge aus zweiter Ehe ist. „Damals musste ich unser Überleben sichern und meine Frau war allein verantwortlich für die Kinder“, sagt er mit offenkundigem Bedauern. Heute ist er es, der seine Große in den Kindergarten bringt und das Mittagessen für die Familie aus der Betriebskantine nach Hause holt.

Wie viel ist hier Show?

Wenn diese Demonstration an Menschlichkeit, Wärme und Bodenständigkeit nur eine Inszenierung sein sollte, dann eine perfekte: Kein Mensch, dem Gutmann auf dem Firmengelände nicht mit großem Hallo begegnet. Alle paar Meter lächelt er Besuchern zu, spricht einen der bald 300 Mitarbeiter beim Vornamen an. Und die sind dafür geduldig, wenn er mal einen Markus mit einem Matthias verwechselt. Als ein LKW-Fahrer orientierungslos zwischen Wegweisern stehenbleibt, klettert er kurzerhand aufs Führerhäuschen und fragt: „Na, wo willst denn hin?“ Gern weist er einem Mann den Weg, der heute noch palettenweise seine Tees, Kräuter und Gewürze hinaus in die Welt bringen wird.

Ist Gutmann also ein reines Marketing-Genie? Oder ist er wirklich das: ein Gut-Mann? Ich entscheide mich für beides, als er sich mitten in unserem Spaziergang über den neu entstehenden „Frei-Hof“ plötzlich bückt und ein Stück Alufolie aufhebt.

Will man wirklich diese Welt für Generationen bewahren, darf man weder nachlässig noch faul sein. Seine Vision für Sonnentor ist fast schon eine lächelnd vorgebrachte Kampfansage: Er will die konventionelle Agrarindustrie mit jedem zusätzlich verkauften Gewürz und jedem biologisch angebauten Tee mehr und mehr verdrängen. Wachstum ist für ihn nicht anrüchig, wenn dafür das Schlechte schrumpft. Dass man mit ökologischer Landwirtschaft die Welt ernähren kann, ist für ihn längst bewiesen.

Jetzt wird er auch noch Bauer

Darum auch der Selbstversorger-Hof. Mit dem Biologen Andreas Voglgruber und seinen Kollegen Sigrid Drage und Thomas Meier hat Sonnentor drei Experten für Permakultur nach Sprögnitz geholt. Die drei planten die 4,5 Hektar große Anbaufläche des alten Bauernhofs, den Gutmann erst Anfang des Jahres gekauft hat: Das vorher konventionell bewirtschaftete Land soll nach den Prinzipien geschlossener Naturkreisläufe beackert werden – ohne künstliche Dünger, Pestizide und möglichst energiearm.

„Wir bauen sogar einen Biomeiler, mit dem wir die Gewächshäuser heizen werden“, erzählt Voglgruber. „Darin kann man alle möglichen Pflanzenreste verbrennen; eine ganz tolle Geschichte.“ Die Begeisterung für das, was andere wegwerfen, teilt er mit seinem Auftraggeber Gutmann offensichtlich.

Der lässt sich von Silke Drage gerade das frisch ausgehobene Beet für starkzehrende Pflanzen wie Kürbis und Zucchini zeigen, die unterhalb vom Kompost ideale Bedingungen vorfinden werden. Laufenten sollen später dafür sorgen, dass sie auch ohne Schneckenfraß in der Küche des Restaurants „Leibspeis’“ ankommen werden. „Biologisches Schneckenkorn wäre nach den Richtlinien zwar erlaubt, aber das schadet den Regenwürmern, die uns wunderbaren Humus liefern“, sagt Voglgruber.

Und das ist schließlich die Erkenntnis, mit der Sonnentor groß geworden ist: Nichts ist wertvoller als ein loyaler Lieferant.