Es gibt Grund zu jubeln in der Finsterwalder Straße 74. Denn das Rücklicht leuchtet wieder. Etwas funzelig noch, aber eine ältere Dame mit sportlichem Kurzhaarschnitt freut sich wie ein kleines Kind: „Es geht wieder, juhu!“ Schon landet ein Zehn-Euro-Schein in der Kaffeekasse der offenen Fahrradwerkstatt, die der Verein „Bunte Finsterwalder Straße“ (Bufiwa e.V.) im Westen der Stadt Rosenheim wöchentlich aufsperrt. Immer am Dienstag von drei bis sechs darf jeder beim Werkstattleiter Johann Peschke vorbeikommen, um Kleinigkeiten reparieren zu lassen.
Oft stellt sich heraus, dass diese Macken doch komplizierter sind als gedacht: Für das tote Rücklicht hat Johann Peschke, der von allen nur Hans genannt wird, sich schon ordentlich ins Zeug legen müssen. Die losen Kabel sorgfältig wieder mit den Kontakten zu verbinden, war eine echte Friemelei für den Freizeit-Radmechaniker. „Wenn man sieht, wie die Lichter bei manchen Fahrrädern verbaut sind, weiß man schon Bescheid, worum es den Herstellern geht.“

Fahrräder für Flüchtlinge

Peschke, Jahrgang 49, bayerischer Zungenschlag und ölverschmierte Hände, stellt das einfach nur fest. Jammern ist nicht seine Art und er hätte auch gar keine Zeit dazu. Schnell ein Schluck aus der Kaffeetasse – das muss immer gehen – und schon macht er sich daran, den Sattel von Adhanom wieder zu fixieren.

Der 26 Jahre alte Eritreer hat an dem gebrauchten Rad offenbar schon selbst herumgebastelt, worüber Peschke nur auf eine väterlich-spöttische Art den Kopf schüttelt. „Der ist jetzt immer noch locker, weil die Stange ordentlich ramponiert ist. Wenn sie mit solchen Sachen doch gleich zu mir kommen würden“, seufzt er und zieht die Schraube noch einmal nach. Sie, das sind im Moment viele junge Männer, die in Flüchtlingsheimen leben und von der Rosenheimer Bevölkerung gebrauchte Räder bekommen haben.

„Es ist toll, dass die Flüchtlinge, die schon länger in Rosenheim sind, sich um die anderen sorgen.“

Johann Peschke, Leiter der offenen Fahrradwerkstatt

Ali Reza Kadhemi hat sogar schon ein Ersatzteil für seine Gangschaltung mitgebracht, Peschke begrüßt er mit Handschlag. Die beiden kennen sich aus der Luitpoldhalle, ein Übergangsquartier für Flüchtlinge, das die Stadt Rosenheim eingerichtet hat. Wenn Peschke neben seinem Engagement als erster Vorsitzender von Bufiwa noch etwas Zeit hat, hilft er dort aus, kümmert sich um die Menschen und gibt Essen aus. Auch Reza Kadhemi, der 26 Jahre alte Afghane hilft den Neuankömmlingen. Seit einem Jahr ist er hier und spricht schon sehr gut Deutsch.

Heute kann er leider nichts mehr für Reza Kadhemi tun, die Reparatur wäre jetzt viel zu aufwändig. „Komm bitte nächste Woche wieder, aber gleich um drei“, sagt er seinem jungen Bekannten mit gespielter Strenge und zeigt ihm die Uhrzeit mit den Fingern. Er muss auch manchmal Nein sagen und Menschen unverrichteter Dinge wieder wegschicken. Die Möglichkeiten der kleinen Werkstatt sind begrenzt. Er tut eben, was er kann.

„Als Mechaniker könnte ich das Rad technisch natürlich schon selbst reparieren, aber ich sehe die kleinen Dinge nicht mehr.”
(Helmut Schurtzmann, Besucher der Fahrradwerkstatt)

Rad um Rad repariert der gelernte Schlosser: Eine Leihoma bringt das rosarote Kinderrad des ihr anvertrauten Mädchens, die Bremsen schleifen. Eine Frau, die sämtliche Erledigungen mit dem Fahrrad macht, braucht dringend einen neuen Schlauch im Hinterrad.

Ein ehemaliger Arbeitskollege von Peschke kommt vorbei, er möchte das Rad seiner Frau wieder fit machen lassen, während sie sich im Krankenhaus von einer Herzoperation erholt. „Als Mechaniker könnte ich das Rad technisch natürlich schon selbst reparieren, aber ich sehe die kleinen Dinge nicht mehr”, sagt Helmut Schurtzmann. Er ist beinahe erblindet.
Also soll eben der Hans sich der Sache annehmen. Mindestens 40 Jahre lang kennt er ihn schon. Ein „super Kerl“ sei der und „absolut zuverlässig“. Der Rentner Schurtzmann lebt auch in dem großen, roten Neubau, in dessen Keller die Fahrradwerkstatt untergebracht ist. Die kommunale Baugesellschaft GWRS, die den Wohnbau errichtete, überlässt die Räume mietfrei; nur die Nebenkosten muss der Verein bezahlen. Rosenheim sei im sozialen Bereich extrem gut vernetzt, sagt Peschke anerkennend.

Hilfe bekommt der Rentner auch von Hartmut Huber, einem 14 Jahre alten Schüler aus der Gegend. Flink hebt er die Räder der „Kunden“ aufs Gestell, baut Reifen aus und hängt Bremsen wieder ein. Peschke erklärt ihm beim Schrauben und Pumpen nebenher, worauf es ankommt. Dass er jungen Menschen gerne etwas zeigt, merkt man.

In der Werkstatt hat alles seinen Platz

Räder zu reparieren lernte er selbst schon als kleiner Junge, weil sein Vater in einer Fahrradwerkstatt arbeitete und er als Kind immer gut auf sein eigenes Rad aufpassen musste. Ein „runtergeschlamptes Radl“, das hätte sich Peschke gar nicht erlauben können. Ordnung hält er heute auch in seiner Werkstatt, Ersatzteile sind in fein säuberlich beschrifteten Kisten und Schubladen verstaut, Mäntel und Schläuche hängen nach Größen sortiert an der Wand.
Chaos bringen nur die vielen spontanen Besucher in die Bude. Steht ihm einer von ihnen auf der Suche nach der Kiste mit den Ersatzklingeln oder dem richtigen Schraubenschlüssel im Weg, bringt er einfach seinen Lieblingsspruch: „Wenn du nichts zu tun hast, tu es bitte woanders.“

Genervt zu sein, sagt Peschke, das könne er gar nicht mehr; das habe er sich schon lange abgewöhnt. So einfach ist das.


 

Erstmals erschienen auf www.du-bist-ein-gewinn.de.