Der „Wahl-O-Mat“ soll Jungwählern helfen, sich im Wahlkampf-Dschungel zu orientieren. Mancher aber ist entsetzt, weil er sich plötzlich im rechten Spektrum wiederfindet.

„Das kann nicht sein. Das darf nicht sein. Ich will kein Nazi sein”, schreibt die 20-jährige Sonja Salzburger in einen Erfahrungsbericht für das deutsche Nachrichtenportal Spiegel Online über ihr „Wahl-O-Mat”-Ergebnis. Eigentlich fühlt sie sich der CDU nahe. Doch der virtuelle Fragebogen sagt ganz eindeutig: Die Grünen und die NPD liegen bei ihr auf den vordersten Rängen. Das Resultat hat dennoch keinen direkten Einfluss auf ihre Entscheidung bei der Bundestagswahl am 27. September. Fast trotzig stellt sie klar: „Ich habe keine Ahnung, wie sich die NPD auf den zweiten Platz schleichen konnte. Aber eines steht fest: Wählen würde ich sie niemals.”

Foto: Away Legends

Nur Orientierung, keine Wahlempfehlung

Innerhalb der fünf Tage, die er nun schon online zur Verfügung steht, haben sich bereits mehr als 2 Millionen politisch Interessierte durch jene 38 Fragen des „Wahl-O-Mats” geklickt, deren Auswertung ihnen zeigen soll, mit welcher Partei zur Bundestagswahl sie sich am ehesten identifizieren können. Seit der Bundestagswahl 2002 gibt es dieses kostenlose Instrument der Bundeszentrale für Politische Bildung – die österreichische Entsprechung für bundes- und landesweite Wahlen sind die Online-Fragebögen auf der Website wahlkabine.at.

Ziel solcher Informationsangebote ist es meist, Jungwählern eine erste Orientierung im Wahlkampf-Dschungel zu geben und sie zu motivieren, ihre Stimme abzugeben. Zur 5-Minuten-Entscheidungshilfe sind sie aber nicht geeignet: Die Auswertung der 38 „Wahl-O-Mat”-Thesen soll laut den Machern ausdrücklich keine Wahlempfehlung darstellen. Denn das interaktive Online-Tool kann die Programme der Parteien nicht in ihrer vollen Komplexität abbilden.

D-Mark wieder einführen?

Wie schon bei den Wahlen zuvor haben Jugendliche mit Hilfe von Wissenschaftern die Parteivorhaben analysiert und die wichtigsten Kernfragen des Wahlkampfs herausgefiltert. Anhand dieser ersten Auswahl erhielt die junge Redaktion von 24 der 27 zugelassenen Parteien ausformulierte Antworten zu den einzelnen Thesen – auch Enthaltungen waren möglich.

Alle Punkte, in denen über die Parteigrenzen hinaus Einverständnis herrschte, entfernten die Macher vom Thesenkatalog, um eine schärfere Differenzierung zu gewährleisten. In den Fragebogen geschafft haben es in diesem Jahr Thesen zu – besonders für junge Wähler – wichtigen Wahlkampfthemen wie Atomausstieg, Abzug aus Afghanistan, Mindestlohn, Vermögenssteuer, Tempolimit, Online-Durchsuchungen oder Studiengebühren.
Auch kuriose Forderungen finden sich darin: „Deutschland soll aus der EU austreten” oder „Die D-Mark soll wieder eingeführt werden”. Wohl, um den Exoten unter den Kleinparteien ebenfalls Gewicht zu geben.

Tendenziöse Formulierungen?

Hat man die 38 Fragen mit „stimme zu”, „neutral” oder „stimme nicht zu” beantwortet, kann man in diesem Jahr zum ersten Mal die Thesen, die einem am wichtigsten erscheinen, noch einmal extra gewichten. Erst dann wählt man 8 Parteien aus, mit denen man seine eigene Gesinnung vergleichen möchte.

Viele eigentlich eher links orientierte Wähler haben dabei ähnliche Überraschungen erlebt wie Sonja – in zahlreichen Punkten stimmten die eigenen Antworten mit denen der rechtsgerichteten NPD überein.

„Sind wir alle seit der Europawahl plötzlich zu Nazis geworden?”, fragt sich der deutsche Blogger Markus Weber. Er will entschlüsselt haben, warum die NPD im Instrument der Bundeszentrale für Politische Bildung so häufig bei überzeugten Grün- oder SPD-Wählern auf Top-Positionen gelangte: die Thesen seien tendenziös formuliert, die Positionen der Parteien zu extrem dargestellt. Bei der Frage „Die Türkei soll die Vollmitgliedschaft in der EU erhalten” gebe es von der SPD oder den Linken eben kein klares Ja oder Nein. So würde die Bedingung der SPD, dass eine Mitgliedschaft „nur unter Wahrung der Menschenrechte” zustande kommen könnte, dennoch pauschal als „Ja” gewertet. Dem eindeutigen Nein der NPD dürfte sich so mancher Teilnehmer des Fragebogens aber näher gefühlt haben.

Weber wirft der Bundeszentrale für Politische Bildung vor, dass die Auswahl und Formulierung der Thesen „Parteien des rechten Randes” überproportional bevorzuge, während SPD, Grüne und Linke benachteiligt würden.

Anreiz für weitere Recherchen

Die Macher des „Wahl-O-Mat” geben zu, dass die Methodik nicht perfekt ist: Die Resultate bezögen sich eben nur auf die bereitgestellte Thesenauswahl, schreiben die Verantwortlichen auf der zugehörigen Website.
Viele interessante Themen hätte die Redaktion nicht aufnehmen können, weil die Parteien sich zu ihnen nicht klar genug oder gar nicht geäußert hatten.
Sicher gebe es auch außerdem noch viele weitere gute Gründe, sich der einen oder anderen Partei nahe zu fühlen. Ein überraschendes Ergebnis sei ein guter Anlass, sich intensiver mit den Programmen auseinanderzusetzen und seine eigenen Ansichten noch einmal kritisch zu beleuchten, heißt es von Seiten der Redaktion.
Das findet auch Lisi Maier, die als „Wahl-O-Mat”-Jugendredakteurin die Themenwahl mitgestaltet und den Fragebogen bei der Pressevorführung zum Launch getestet hat: „Der ‚Wahl-O-Mat‘ schafft einen super Anreiz, sich über Politik und die Wahlthemen zu informieren. Man bekommt eine Idee davon, welche Fragen einen persönlich besonders interessieren und kann sich damit dann ausführlich beschäftigen.”

Für diese intensive Beschäftigung haben die jungen Wähler noch mehr als zwei Wochen Zeit. Ob bis dahin der Rekord vom Wahljahr 2005 – mit mehr als 5 Millionen aufgerufenen Fragebögen – geknackt wird, lässt sich schwer abschätzen. Sicher aber ist, dass der „Wahl-O-Mat” bei Vielen noch für politische Selbstzweifel sorgen wird.