Kinder sollen wissen, woher das Essen auf dem Teller stammt. So mancher Lehrer greift deshalb zu blutigen Methoden. Aber muss man beim Schlachten dabei sein? Nein, nicht nötig.

Foto: Florian Seiffert

Die Köchin Sarah Wiener hat schon einmal mit blutiger Pädagogik für Aufregung gesorgt: Sie ließ in einer Arte-Sendung ihre kleinen Schützlinge beim Schlachten von Hühnern und Kaninchen helfen. Um ihnen zu zeigen, dass es sich bei Hackbraten und Chicken Nuggets nicht um anonyme Masse, sondern die Leiche eines Tieres handelt. „Ich möchte ihnen vermitteln, wie wertvoll so ein Tier ist“, rechtfertigte sie die umstrittene Sendung.

Mit einem ähnlichen pädagogischen Ansatz wurde in einer Schule in Schleswig-Holstein vor den Augen von Fünftklässlern ein Kaninchen geschlachtet und am nächsten Tag gebraten. Ein Skandal und „barbarische Vorfälle“ nannten das manche Eltern, die sich sofort an die örtliche Presse wandten. Ist das berechtigt? Die Aktion im Rahmen einer „Steinzeit-Projektwoche“ war immerhin sorgsam durch einen Landwirt vorbereitet und von intensiver Wissensvermittlung begleitet.

Trotzdem war sie daneben. Vor allem, weil einige Kinder sie nicht wollten. „Man kann ja auch keine Unterschriften gegen eine Mathe-Arbeit vorlegen“, war die Reaktion der zuständigen Lehrer, als die Schüler Unterschriften sammelten, um das Kaninchen zu retten. „Ihr habt hier nichts zu melden“, hätten sie auch antworten können.

Dabei zu sein, wie das Leben eines Tieres ausgelöscht wird, ist zweifelsfrei eine intensivere Erfahrung als die Berechnung der Hypotenuse. Wie immer, wenn die Schule im Schnellverfahren Dinge vermitteln muss, die von den Eltern konsequent totgeschwiegen werden, kommen sensible Individuen zu Schaden. Welcher Lehrer hat die Zeit, sich einzeln mit den Schülern über dieses Erlebnis zu unterhalten?

Prägend war die Schlachtung sicher; manchen wurde sogar schwarz vor Augen, einige begannen zu weinen. Aber war sie auch lehrreich? Was zeigt den Kindern die Schlachtung eines Kaninchens, das nur äußerst selten von ihnen gegessen wird? Ein süßes Geschöpf, das von einem pädagogisch ausgebildeten Landwirt getötet wird, der sie sogar noch „Tschüss“ zu dem Tier sagen lässt?

Sollten sie nicht den wahren Ursprung ihres Schnitzels, ihres Leberwurstbrots, ihres Wiener Würstchens kennen? Das steinzeitgemäße Grillen eines Kaninchens entspricht in keiner Weise den pervertierten Ausmaßen des üblichen Fleischkonsums.

Will man den Kindern diese Zusammenhänge begreiflich machen, müsste man wohl weiter gehen: Sie müssten mitansehen, wie kleinen Ferkeln wenige Tage nach der Geburt ohne Betäubung die Hoden aufgeschlitzt werden. Tiere nämlich, die gerne mit Bällen spielen, sich im Spiegel erkennen und etwa die geistigen Fähigkeiten eines Dreijährigen besitzen. Sie müssten auch sehen, wie die überzüchteten Mastschweine nach einem kurzen aber qualvollen Leben von der Halle in den Tiertransporter getrieben werden. Und wie sie nach einer anstrengenden Fahrt irgendwann in der Gaskammer gegen das Ersticken ankämpfen, an den Füßen aufgehängt „abgestochen“ werden und möglicherweise noch lebend in ein Brühbad kommen, bevor sie von routinierten Arbeitern emotionslos zersägt werden.

Aber nein. Man muss das alles nicht unbedingt sehen, um es zu begreifen. Die Vorstellungskraft von Kindern sollte man nicht unterschätzen. Und ihre Empfindsamkeit schon gar nicht. Wie früh man ihnen in behutsamen Gesprächen das volle Ausmaß dieses grausamen Systems offenbaren muss, sollte also von den Eltern mitbestimmt werden. Sie sind verantwortlich für die ethischen Konsequenzen, die das Familienessen hat. Und sie müssen diese Konsequenzen auch vor ihren Kindern rechtfertigen. Genau das ist es, was laut Spiegel Online einer aufgeregten Mutter nach der „Steinzeit-Projektwoche“ nun droht: „Jetzt habe ich noch mehr Probleme, wie ich meinen Kind erklären soll, wo das Fleisch herkommt.“

Warum die „Kaninchen-Schlachtung“ wichtige Aufklärung war, erklärte Florian Siebeck in unserem Tischgespräch.