In Fußballfeldern wird gemessen, wie viel Boden uns jeden Tag verloren geht – durch zu viel Beton und Ackergift. Dabei ließe sich die wertvolle Ressource leicht retten.

Unserem Boden geht es nicht gut: Er ist wie der gute Kumpel, der Freunden sogar an seinem Geburtstag beim Umzug hilft, aber bei dem plötzlich alle im Urlaub sind, wenn er eine Waschmaschine in den dritten Stock tragen muss. Er hat viel zu bieten, aber kaum einer interessiert sich dafür, was er selbst eigentlich braucht. Darum haben die Vereinten Nationen dieser wertvollen Ressource in diesem Jahr besondere Aufmerksamkeit gewidmet und 2015 zum Internationalen Jahr des Bodens ernannt.

Agrarexperten, Geologen und Biologen warnen eindringlicher denn je: Jeden Tag werden durch den Bau von Straßen, Parkplätzen und Neubauten in Deutschland Flächen in der Größe von 44 Fußballfeldern komplett versiegelt. Dabei sichert der Boden doch eigentlich unser Überleben und hat eine hohe kulturelle Bedeutung: In ihm wächst unser Obst und Gemüse heran, die Futterpflanzen für unser Vieh. Mit seinen mineralischen Bestandteilen und unzählbar vielen Lebewesen reinigt er unser Trinkwasser. Er nährt unsere Wälder und Wiesen, die uns mit Sauerstoff versorgen.

A plant breaks through asphalt

Wir brauchen den Boden

Der Boden bleibt auch standhaft, wenn – besonders durch den fortschreitenden Klimawandel – immer größere Wassermassen über das Land hereinbrechen. Die speichert er und gibt sie wieder ab, wenn es lange trocken bleibt. Auf dem Boden krabbeln unsere Babys, spielen unsere Kinder Ball, liegen wir mit Freunden im Gras und sonnen uns. Ihm übergeben wir schließlich geliebte Menschen am Ende des Lebens, um einen Ort für Trauer zu haben. Ja, wir brauchen den Boden. Also, was können wir für ihn tun?

Ein wachsendes Problem ist, dass der Zugang zum verbleibenden Ackerland nicht gut verteilt ist. So gibt es hierzulande zu wenig Fläche, auf der Bio-Bauern ökologisch anbauen können. Demgegenüber stehen viel zu häufig konventionell bewirtschaftete Äcker mit Monokulturen, unter anderem für den Anbau von sogenannten Energiepflanzen. Und diese verursachen eine nachweisliche Stickstoff- und Pestizidbelastung im Grundwasser. Denn sie werden massiv gedüngt und chemisch vor Schädlingen geschützt.

Fruchtbares Land für immer verloren

Die Folge: Der Boden wird strukturell und biologisch geschwächt; er verdichtet und kann Wasser schlechter aufnehmen. Dadurch schrumpfen die Grundwasservorräte, es kommt häufiger zu Hochwasser und zu verstärkter Erosion, also der Abtragung von Boden: Jährlich gehen in der EU dadurch etwa 970 Millionen Tonnen fruchtbare Erde verloren – genug, um die Stadt Berlin um einen Meter anzuheben. Zahlen wie diese liefert die Agrarwissenschaftlerin Andrea Beste in ihrer aktuellen Studie „Down to Earth“, worin sie sich mit dem Zustand der europäischen Böden befasst. „Wir verlieren Boden 30 bis 40 Mal so schnell, wie er sich neu bilden kann“, sagt sie. Die Leiterin des Büros für Bodenschutz und Ökologische Agrarkultur hat in ihrer langjährigen Tätigkeit als freie Wissenschaftlerin schon über 400 Böden untersucht, viele davon in Deutschland. „Im Süden Europas entstehen bereits Wüsten, Erosion wird aber auch bei uns zunehmend ein Problem“, sagt Beste.

Deutschland blockiert Bodenschutz

Da überrascht es kaum, dass die Bodenexpertin eine glühende Verfechterin der ökologischen Landwirtschaft ist, da diese sinnvolle Fruchtfolgen einsetzt und organischen Dünger. Viele konventionelle Betriebe kümmerten sich zu wenig um die Bodenstruktur und die Lebewesen im Acker. „Damit die Erträge stimmen, werden die Pflanzen mit mineralischem Stickstoff-Dünger versorgt und dadurch sehr anfällig.“ Eigentlich schreibt der Paragraph 17 des Bundes-Bodenschutzgesetzes Landwirten vor, dass ein Acker  „nach guter fachlicher Praxis“ bestellt werden soll. „Wie die genau aussieht, ist nicht klar beschrieben“, sagt Beste. Eine geplante EU-Richtlinie zum Schutz des Bodens wurde von Deutschland jedenfalls bisher blockiert. Man bevorzuge eine nationale Lösung, so das Argument.

Maike Bosold, Geschäftsführerin vom Bundesverband Boden, bestätigt, dass die Lobby der Agrarindustrie intensiv gegen strengere Schutzvorgaben vorgeht. „Aber freiwillig funktioniert es nicht.“ Erde werde oft als Dreck wahrgenommen. „Wir sehen ja meist nicht, was unter der Oberfläche ist. In der Stadt vergessen wir ganz, dass der Boden ein dreidimensionaler Körper ist, der lebt.“ Und sie nennt gleich eine Zahl, um es zu beweisen: „In einer einzigen Hand voll Erde sind mehr Lebewesen vorhanden als es Menschen auf der Welt gibt. Das ist doch unglaublich!“ Dieser scheinbar unendliche Organismus ist noch lange nicht ausgeforscht. Immer neue Erkenntnisse kommen zu Tage: Etwa, wie Arzneimittelreste zum Beispiel aus der Tierhaltung im Boden die Resistenzen gegen Antibiotika verstärken. Wir wüssten heute schon genug, um Dutzende Gründe für aktiven Bodenschutz zu haben, sagt Bosold.

Und der geht eigentlich ganz einfach. Wer etwa Bio-Lebensmittel kauft, unterstützt automatisch Landwirte, die nachhaltig denken und den Boden nicht übernutzen. Oder man steckt sein Geld direkt in Bio-Flächen: Um jungen, umweltbewussten Bauern den St
art zu ermöglichen, kauft zum Beispiel die BioBoden-Genossenschaft gemeinschaftlich Äcker oder ganze Höfe für den Öko-Landbau.

Nützliche Würmer helfen mit

Der Gründer des Naturschutzprojekts Wurmpalast fordert Städter dazu auf, sich für den Boden die Hände schmutzig zu machen. Die Idee von Kai Behncke, ein promovierter Geo-Informatiker, ist simpel: Bio-Müll wie zum Beispiel Kaffeesatz, Tee, Bananenschalen, Brotreste und Tiermist werden in eine Regenwurmkiste gegeben. Durch die Verdauung entsteht ein Ton-Humus-Komplex mit hervorragenden Eigenschaften. Der Boden wird lockerer, Nährstoffe werden stärker gebunden und mehr Wasser gespeichert. „Den Wurmhumus arbeitet man einfach in die oberste Bodenschicht ein und verbessert damit ganz natürlich und kostenlos die Zusammensetzung“, sagt Behncke. Zusätzlich streut man mit Wurmhumus meist automatisch Wurmkokons aus und belebt so den Boden mit noch mehr nützlichen Tieren. 1000 Kompostwürmer produzieren etwa 30 Kilo Wurmhumus im Jahr. Das Beste daran: Wer Wurmhumus verwende, brauche für seinen Balkon oder das Gartenbeet keinen chemischen Dünger mehr, sagt Behncke.

Wie man selbst in grauen Gewerbegebieten noch ökologische Landwirtschaft und Bodenschutz betreiben kann, damit befasst sich das deutsch-österreichische Kollektiv Bauchplan. In Wien und München richteten die Stadtplaner und Landschaftsarchitekten die ersten „Freiluft-Supermärkte“ ein. Das Projekt ist Teil ihres Entwicklungskonzepts „Agropolis“ für die Stadt München, das die Landwirtschaft wieder in die Stadt holen soll. Die Idee: Bauland in Ballungsräumen wird sinnvoll „vorgenutzt“, indem Landwirte aus der Umgebung dort Bio-Gemüse hochziehen und von den Anrainern selbst ernten lassen.

wiese-beton

Städter suchen Kontakt mit Erde

Dass Beton zwar ein Problem, aber kein Hinderungsgrund für die grünen Pläne des Kollektivs ist, zeigt sich etwa in einem alten Wiener Industriegebiet, wo Bauchplan im Juni eine Fläche von einem entgegenkommenden Bauherren ergatterte. Allerdings war das Gelände noch asphaltiert. Da die Fläche nur für eine Saison zur Verfügung stehen würde und die Zeit zum Pflanzen knapp wurde, war eine echte Bodenaufarbeitung also nicht möglich. „Wir haben einfach übrige Erde aus einem niederösterreichischen Weinbau draufgekippt. Es hat uns alle überrascht, wie wunderbar das trotzdem funktionierte“, erzählt die Projektleiterin Marie-Theres Okresek. Der Boden zeigte sich mal wieder von seiner leistungsfähigen Seite: Inzwischen füttern auf dem ehemaligen Industriehof die Kinder einer benachbarten Kita täglich die Hühner. Und Rentner graben Kartoffeln aus. Eingefleischte Städter, so scheint es, suchen den Kontakt mit Erde und Bodenlebewesen. Die Setzlinge kamen übrigens von der österreichischen Saatgut-Initiative Arche Noah.

Künftig strebt das Kollektiv an, Flächen für mehrere Saisons zu bewirtschaften, um den Boden wirklich verbessern zu können. Marie-Theres Okresek weiß von der täglichen Arbeit als Landschaftsarchitektin, dass gerade im Baubetrieb der Boden oft das Nachsehen hat. „Das Bewusstsein ist bei vielen Bauträgern nicht wirklich vorhanden“, sagt sie – und für Bodenschutz bekäme der Bauträger keine höheren Einnahmen. Dabei gäbe es ganz einfache Maßnahmen, um viel zu erreichen: Bäume sollte man bei Bauarbeiten nur fällen, wenn es wirklich nicht anders geht und solange wie möglich stehen lassen. „Sie verhindern, dass der Boden zu sehr verdichtet.“ Man müsse Bauwege schaffen, damit Maschinen nicht planlos kreuz und quer fahren. Und man dürfe die Erdschichten, vorsichtig abgetragen, auch nicht zu hoch stapeln oder zu lange liegen lassen, sagt Okresek. All das kostet in ihren Augen weniger als die Folgen von kaputt gemachtem Land.