Wir müssen uns besser vernetzen: Bis zu 4.300 Kilometer Höchstspannungsleitung mit bis zu 380 Kilovolt brauchen wir laut der Deutschen Energieagentur zusätzlich zu den bestehenden 35.000 Kilometern. Doch wo: In schwindelnder Höhe oder meterweit unter der Erde? Für den Vergleich sprachen wir mit drei Experten: Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz betreibt in Berlin-Friedrichshain eine der wenigen Erdkabelleitungen Deutschlands, baut aber vorwiegend Freileitungen. Professor Heinrich Brakelmann von der Universität Duisburg-Essen, ein gefragter Experte, verweist auf eine Alternative: Begehbare und einfach zu wartende Rohre mit Höchstspannungsleitungen – sogenannte Power-Tubes. Und Frank Gollnik vom Forschungszentrum für Elektro- Magnetische Umweltverträglichkeit (femu) kann zum Thema Immissionen auf 18.000 wissenschaftliche Dokumente zurückgreifen. Das macht die Sache trotzdem nicht einfacher.

1. DIE VERLÄSSLICHKEIT

Freileitungen sind laut einer Studie des Bundesumweltministeriums nur 0,06 Prozent der Zeit nicht verfügbar. Dabei wirken Frost oder Stürme auf sie ein. „Allerdings entdeckt man den Schaden auch schnell“, sagt Volker Kamm, Pressesprecher des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz.
Im Gegensatz dazu dauere es bei Erdkabeln oft Wochen, bis der Fehler gefunden und behoben sei – man müsse ja graben. Professor Heinrich Brakelmann von der Uni Duisburg-Essen erforscht Hochspannungskabel, die in begehbaren Rohren geführt werden: „Mit Reservekabeln lassen sich sehr betriebssichere Lösungen verwirklichen.“

2. DIE OPTIK

„Selbstverständlich verändern Freileitungen das Landschaftsbild“, sagt sogar 50Hertz-Sprecher Volker Kamm. „Nur sollten die Bürger nicht glauben, dass Erdkabel das nicht tun würden.“
Diese werden entweder wie in der Grafik direkt in einem Schutzbett aus Sand und Beton in die Erde verlegt, oder durch Tunnel gezogen. Unsichtbar sind zwar die Kabel, aber nicht das Zubehör: zum Beispiel Muffen, das sind Verbindungselemente. „Da sehen Sie alle paar hundert Meter ein begehbares Bauwerk“, sagt Kamm. Auch die benötigten Schneisen sind nicht kleiner; nur dass Erdkabel keine Wurzeln in ihrer Nähe vertragen. 50Hertz arbeite mit den Grundstückseigentümern an besserer Bepflanzung unter Freileitungen – statt der „üblichen Weihnachtsbäume.“

3. DIE NATUR

„Manchmal wird beim Bau einer Leitung die Natur rechtlich über die Interessen der Bürger gestellt“, erklärt der Biologe Frank Gollnick. Der Umweltschutz sei oft stärker als das Gesundheitsrecht. 50Hertz plante eine von deutschlandweit vier Pilot-Erdkabelleitungen in einem hügeligen Thüringer Wandergebiet: „Wir dachten, gerade da sollten keine Masten stehen“, erzählt Pressesprecher Kamm. Am Ende gab es sogar Bürgeraussagen gegen das Erdkabel, weil der Eingriff in die Natur zu stark gewesen wäre. Professor Heinrich Brakelmann setzt in solchen Gebieten auf die Kabel in Rohren, den „PowerTubes“, die mit modernen Bohrverfahren sogar unter Auen und Waldgebieten grabenfrei zu verlegen seien.

4. DIE GRENZWERTE

Wie hoch Freileitungen gebaut werden müssen und wie nahe sie zum nächsten Haus stehen dürfen, ergibt sich aus den gesetzlichen Grenzwerten für die Belastung durch elektrische und magnetische Felder: 100 Mikrotesla sind derzeit das Maximum für Magnetfelder zur Sicherheit von Anwohnern; festgehalten in der 26. Bundes-Immissionsschutzverordnung. „International bewegen wir uns damit im oberen Bereich, die Schweiz hat für sensible Bereiche 1 Mikrotesla als Grenze“, sagt Frank Gollnick. Das Forschungszentrum Femu, an dem er arbeitet, besitzt zum Thema elektromagnetische Felder die weltweit größte Dokumentensammlung. Gollnick sagt zum jetzigen Stand der Diskussion: „Die Debatte fokussiert sich zu einseitig.“ Denn zwei Drittel der elektromagnetischen Belastung entstünden im Haushalt, dort allerdings nicht dauerhaft.

5. DIE GESUNDHEITSGEFAHR

Das magnetische Feld ist direkt über Erdkabeln höher als bei Freileitungen, fällt aber schneller zur Seite ab. Selbst wer direkt unter eine 380kV-Freileitung baut, bleibt noch deutlich unter dem gesetzlichen Grenzwert. „So eine extreme Wohnlage würde ich mir nicht aussuchen“, sagt Gollnick als Experte für Belastung durch Elektro-Magnetismus. Er nennt einen bestätigten, gesundheitlichen Zusammenhang: In mehr als 20 Bevölkerungsstudien wurde eine erhöhte Leukämie-Rate bei Kindern festgestellt, die dauerhaft magnetischen Flussdichten von über 0,3 bis 0,4 Mikrotesla ausgesetzt waren. Die Weltgesundheitsorganisation bestätigte die Problematik zuletzt 2007. „Wir warten auf weitere Erkenntnisse aus der Forschung über die wahre Ursache, die noch nicht bewiesen ist.“