Die Terrasse des „Edelkiosks“ ist noch warm von der Hitze des Tages, die Dämmerung wird erst in zwei Stunden einsetzen. Doch das einzige vegane Café Frankfurts hat bereits offiziell geschlossen und verkauft seine süßen Küchlein und Mandelmilch-Lattes nur noch an flirtwillige Gäste: die Teilnehmer des Veggie-Speeddatings. Nina Ossenfort hat sich das einfallen lassen. Die 25 Jahre alte Verlagsmitarbeiterin steht im fröhlichen Punktekleid zwischen türkisen Tischchen und Klappstühlen und hält die männlichen Singles bei Laune.

Es herrscht ironische Stimmung, denn die Situation erinnert ein wenig an Wartezimmer – nur tragen selbst die mitgebrachten Hunde ein Namenschildchen. Alle sechs Minuten schnappt sich Nina einen der Männer und führt ihn in den hinteren Bereich des Cafés, wo ihre Freundin Anna sitzt. Sie ist die einzige Frau, die nicht kurzfristig abgesagt hat und darf konkurrenzlos wählen. „Für sie macht es gar keinen Unterschied, ob noch andere Frauen da sind oder nicht“, sagt Nina unbekümmert. Denn das Prinzip des Speeddatings ermöglicht es den Teilnehmern, mit jedem der anwesenden Singles in Kontakt zu kommen, wenn auch nur kurz.

Der 30 Jahre alte Vater eines kleinen Mädchens findet Ninas Initiative sehr gut – trotz der mageren Frauenquote. Er ist „schon viel zu lange Single“ und nutzt deshalb jede Chance, die er kriegen kann, um interessante Frauen kennenzulernen. Frauen, die im Idealfall seine neue Lebenseinstellung teilen: Stephen ernährt sich seit ein paar Wochen vegetarisch und ist „auf dem Weg zum Veganismus“. Das heißt, er will irgendwann gänzlich auf Lebensmittel und Produkte verzichten, die tierische Bestandteile und somit für ihn auch tierisches Leid beinhalten. Für Stephen bedeutet das, dass er einige bisherige Gewohnheiten durch neue tauschen wird, dass er hin und wieder verzichten wird, wenn es keine vegane Option für ihn gibt. Das alles aus einer moralischen Überzeugung heraus, die nicht jeder gleich versteht und noch weniger Leute konsequent umsetzen würden. Er ist nicht der einzige an diesem Abend, der sagt: „Das macht die Partnersuche nicht einfacher.“

Der Tauschwert eines Fleischessers

Als der Vegetarierbund Deutschland aus diesem Grund zum diesjährigen Valentinstag ein Speeddating im Berliner Szenelokal Viasko organisierte, gab es mehr Anmeldungen als Plätze – und teilweise spöttische Reaktionen. Scheinbar wollten Vegetarier und Veganer sich nicht mit „Tierfriedhöfen“ abgeben, geschweige denn das Bett mit ihnen teilen, mutmaßte eine Kolumnistin in der taz. Und fragte, ob die Lebenseinstellung des einen denn zwingend zu der des anderen passen müsse?

Nicht erst, seitdem Online-Singlebörsen mittels Algorithmen potenziell passende Partner ermitteln können, gibt es Kritik an unserer Liebeskultur, in der jeder nach Perfektion zu streben scheint. Der Philosoph und Soziologe Erich Fromm stellte schon 1956 in seinem Text „The Art of Loving“ fest: Wir gehen auch bei der Partnersuche nach marktwirtschaftlichen Kriterien vor. „Der Mann ist hinter einem attraktiven jungen Mädchen und die Frau hinter einem attraktiven Mann her. Dabei wird unter ‚attraktiv‘ ein Bündel netter Eigenschaften verstanden, die gerade beliebt und auf dem Personalmarkt gefragt sind.“ Am Ende fänden sich dann Liebespaare in der Überzeugung „das beste Objekt gefunden zu haben, das für sie in Anbetracht des eigenen Tauschwerts auf dem Markt erschwinglich ist.“

Sind die Teilnehmer des vegetarischen Speeddatings also zu wählerisch? Die Berliner Psychologin Berit Brockhausen sieht das anders. Für ihr Buch „Warum machst du mich nicht glücklich?“ untersuchte sie die Gefahren von unerfüllten Erwartungen und Bedürfnissen in der Liebe. Als erfahrene Paartherapeutin findet sie es durchaus legitim, wenn Veganer nach einem Menschen zu suchen, der ebenfalls für das Wohl der Tiere seinen Lebensstil verändern würde. „Alle sozialpsychologischen Studien bestätigen, dass sich Partner in dauerhaften Beziehungen in grundlegenden Dingen wie Bildung, Lebenseinstellung und Grundwerten sehr ähnlich sind.“ Ein Veganer, der am liebsten einen Veganer lieben würde, schränke seinen Pool an potenziellen Partnern zwar deutlich ein. „Andererseits spricht diese Übereinstimmung in einem fundamental wichtigen Wert dafür, dass möglicherweise auch andere Ähnlichkeiten bestehen, die ein gemeinsames Leben angenehm machen.“

Anna Prokein sitzt entspannt auf der Treppe zu ihrem kleinen Café und denkt zurück an die Erfahrungen mit einem Partner, der Fleisch gegessen hat: „Natürlich ist es möglich, aber es kann nerven: jeder Restaurantbesuch, das gemeinsame Kochen. Die Ernährung wird zum Thema in der Beziehung.“ Schließlich rutschen schon zwischen guten Freunden alle Gespräche über die Ernährung schnell auf eine persönliche, verletzende Ebene. Obwohl der Grund für das damalige Scheitern der Beziehung nicht darauf zurückzuführen ist, freut sich die 27 Jahre alte Inhaberin eines Cafés, dass ihr jetziger Freund ebenfalls vegan lebt. „Alles andere wäre mir inzwischen zu anstrengend“, sagt sie.

Die eigene Negativliste wird oft ignoriert

Aber ist ein wenig Anstrengung für die wahre Liebe denn zu viel verlangt? Der amerikanische Philosoph Hugh LaFollette befasste sich in seinem Text „Warum liebe ich?“ kritisch mit jenen kausalen Erklärungsmodellen für die Liebe, nach denen Menschen in Beziehungen vor allem die Bestätigung ihrer Persönlichkeit suchen. Würden wir beispielsweise von einem ehrlichen Freund mit konträren Ansichten nicht ebenso profitieren? „Uns fremden Standpunkten und Lebensstilen auszusetzen, besonders zusammen mit Menschen, denen wir wichtig sind, hilft uns dabei zu reifen und zu wachsen.“

Brockhausen gibt ihm da schon Recht: „Anfangs starten viele ihre Suche mit einer Negativliste, doch das Gefühl hält sich nicht an solche Vorgaben. Mit einer Art geheimen Intelligenz verfallen wir dann oft Menschen, die uns zu einer persönlichen Entwicklung herausfordern.“ Allerdings macht es einen Unterschied, ob es sich um charakterliche Unterschiede oder um komplett konträre Werte handelt: „Wenn es nicht nur um Vorlieben geht, sondern um eine ethische Überzeugung, kann man nur schwer mit einem Menschen zusammenleben, der diese Überzeugung jeden Tag verletzt“, sagt Brockhausen.

Auch LaFollette gab zu, dass Menschen in „zielorientierten Partnerschaften“ sich in den wichtigen Dingen einig sein müssen und dass sie für Eigenschaften geliebt werden möchten, die ihre Persönlichkeit ausmachen. Vegane Ernährung fällt wohl darunter, da bei den meisten mit diesem Schritt ein großer moralischer Wandel vollzogen wird und sich die Perspektive grundlegend ändert.

Veganismus sei kein Spleen, sondern „eine Einstellung“, darauf legt Svenja Wert. Die angehende Lehrerin und ihr Mann leben beide vegan, wollen das aber nicht „wie ein Schild vor sich hertragen.“ Dennoch sagt die Achtundzwanzigjährige, dass sie bei einem Fleischesser vermutlich gewisse Beziehungsebenen von vornherein nie in Betracht gezogen hätte. „Ähnlich wäre es, wenn ein Mann sagen würde, dass er Kinder hasst. Er muss selbst keine haben wollen, aber wer Kinder nicht leiden kann, würde bei mir gewisse Gefühle nicht auslösen.“ Wobei man aber nie ganz ausschließen könne, dass der Körper plötzlich ganz anders über einen Menschen denkt als der Geist.

Die Paartherapeutin Brockhausen warnt jedoch davor, sich allzu leichtfertig in solche Abenteuer zu stürzen: „Wer anfangs nur der Leidenschaft folgt, muss sich womöglich irgendwann eingestehen, dass die Beziehung an der Unvereinbarkeit zerbricht.“

Endlose Diskussionen ersticken die Liebe

Wer es trotz aller Unterschiede versuchen möchte, muss an der Beziehung arbeiten. „Ein Raucher und eine Nichtraucherin oder eine Veganerin und ein Fleischesser müssen sich weitaus mehr anstrengen und viel erfinderischer sein als Paare, die in diesen Dingen ein Herz und eine Seele sind.“

Über die Differenzen zu reden, sei natürlich eine gute Idee, sagt Brockhausen – solange beide die Gespräche als bereichernd empfinden. „Diskussionen, die sich im Kreis drehen und bei denen jeder schon weiß, was der andere sagen wird, sind Gift für die Liebe.“ Auch gefährlich sind Kompromisse, mit denen am Ende keiner so richtig glücklich ist. Und wenn der eine für den anderen auf Tierprodukte verzichtet? „Falsch wäre es natürlich, wenn einer irgendwann zähneknirschend klein beigibt“, sagt Brockhausen. „Wenn der Partner das aber aus eigener Überzeugung tut, ist das ein großes Geschenk.“

Anna würde niemals von einem Mann verlangen, dass er für sie vegan wird. „Das funktioniert auch gar nicht, denn dieser Schritt muss von ihm selbst kommen“, sagt die Politik- und Theologiestudentin und lässt sich sichtlich erschöpft auf dem gemütlichen Cordsofa im Café nieder. Bisher dachte die wortgewandte und hübsche Brünette, dass sie problemlos mit einem Fleischesser zusammen sein könnte. Aber jetzt ist sich die Sechsundzwanzigjährige nicht mehr so sicher.

Sie ist in einem Alter, in dem man in Liebesdingen weiter denkt als bis zum nächsten gemeinsamen Abend. „Wenn man zusammen Pläne schmieden will, sollte man in die gleiche Richtung schauen“, sagt Anna. Mit einem, vor dem sie sich nicht ständig erklären müsste, wäre das einfacher. „Es geht nicht nur ums Essen. Wer vegan lebt, engagiert sich oft auch für Tierrechte und hat in vielen Bereichen ganz andere Überzeugungen als die meisten Menschen“, sagt sie. Schnell geht eine zarte Liebespflanze daran zugrunde. Als sie vor kurzem einer nicht ganz unsympathischen Online-Bekanntschaft von dem Hund erzählte, den sie bald bei sich aufnehmen würde, war der fast schockiert. „Das war ihm viel zu viel Verantwortung“, erzählt sie. „Der Mann, den ich liebe, muss aber verstehen können, wenn ich meinem Hund viel Zeit widme.“

Bei den jungen Männern, die draußen auf der Terrasse sitzen, wäre das zu erwarten. Einen von ihnen will sie wiedersehen. Ob er die große Liebe sein könnte, kann sie noch nicht sagen. Denn zum Verlieben gehört noch mehr als Attraktivität und die gleiche politische Einstellung, sagt Brockhausen. „Es kann das verletzliche Lächeln sein, der Geruch oder auch eine ähnliche Lebenserfahrung, die sonst niemand versteht.“ Um das herauszufinden, braucht man wohl mehr als sechs Minuten.