Das Modell der eingetragenen Genossenschaft ist fix erklärt, aber nicht so schnell aufgebaut. Für eine Gründung gelten strenge Regeln, damit die Einlagen der Mitglieder geschützt sind. Doch keine Sorge: Bei der Umsetzung kann man sich an erfolgreichen Vorbildern orientieren. So wie an einer Bürgerbrauerei im hessischen Wächtersbach.

Wächtersbach, ein kleines Häuserhäufchen zwischen sanften Hügeln. Jörg Lotz liebt dieses hessische Städtchen, in dessen Kern auch eine vierhundert Jahre alte Brauerei steht. Schon seit 2001 hat dort aber keiner mehr Bier gebraut. Der diplomierte Ingenieur konnte vom benachbarten Haus seiner Großeltern aus beobachten, wie die Brauerei „heruntergewirtschaftet“ wurde. Der Inhaber habe nur Geld herausgenommen und nichts mehr investiert. Die Firma wurde erst an einen regionalen Bierbrauer verkauft, dann noch einmal veräußert und gehörte am Ende zum Heineken-Konzern. Ein Trend zur Industrialisierung, den Lotz nicht gut findet. „Es gibt so viele Massenbiere, alles schmeckt gleich. Die lokale Braukultur wird immer mehr plattgemacht.“ Vor drei Jahren fingen der 48 Jahre alte Ingenieur und andere Wächtersbacher an, im heimischen Kochtopf ihr eigenes Bier zu brauen. Im kleinen Ort blieb das nicht lange ein Geheimnis, und bald wurde klar, dass viele Bürger gerne ein wirklich lokal erzeugtes Bier trinken würden.

Die Wächtersbacher wollten eine professionelle Bürgerbrauerei gründen, eine Genossenschaft war dafür das ideale Modell. „Es ging uns nie darum, große Gewinne zu machen“, sagt Lotz, der nun im Vorstand sitzt. Stattdessen sollte die lokale Identität gewahrt und ihre Stadt wiederbelebt werden. Tausende Stunden haben die heute 220 Genossen gearbeitet, bis das erste Bier professionell gebraut wurde. Alle arbeiten ehrenamtlich – vom Schreiner bis zum Lkw-Fahrer – nur der Brau- und Malzmeister ist fest angestellt. Seit der Gründung im Jahr 2011 hat die Bürgerbräu Wächtersbach Braugenossenschaft eG schon viel geschafft: Im Ort trinkt man wieder lokal erzeugtes Pils, sogar mit Bio-Siegel und CO2-neutral gebraut mit der Wärme aus einem Holzkraftwerk. Den urigen Ysenburger Hof, eine verlassene Gaststätte in der Altstadt, haben die Genossen auch gepachtet und wiedereröffnet. Und eine neu gekaufte Abfüllanlage schafft 700 Flaschen pro Stunde. Die Geschäfte sollen bald anziehen: „In den Flaschen können wir unser Bier jetzt auch bis nach Frankfurt bringen“, sagt Jörg Lotz. Dort warten qualitätsbewusste Abnehmer.

Noch jemand freut sich über solche Erfolge: Bernhard Brauner. Er ist der zuständige Gründungsberater in der regionalen Abteilung des Genossenschaftsverbandes und begleitet solche Gründungen in Hessen von Anfang an. „Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele“, ist ein Satz von Friedrich Wilhelm Raiffeisen, den der 57 Jahre alte Berater gerne zitiert. Als Prüfer im Verband hat Brauner fast 25 Jahre lang Genossenschaften auf Herz und Nieren untersucht und schaut nun seit 2007 ebenso genau auf den Businessplan von Gründungswilligen. Beim ersten Gespräch will er aber nur wissen, „wer mit wem was gestalten will“, und erklärt dann Schritt für Schritt den Weg zur eingetragenen Genossenschaft (eG).

Die Motivation
Genossenschaften bringen sich oft da ein, wo Staat und Privatwirtschaft aussetzen. Sei es eine Bürgerbrauerei wie in Wächtersbach, ein öffentliches Schwimmbad oder ein Programmkino, das von Genossen betrieben wird. „Hilfe zur Selbsthilfe, das entspricht dem neuen demokratischen Verständnis der Menschen“, sagt Brauner.

Die Genossen
Das Team einer Genossenschaft kann klein sein, „nur noch drei Leute braucht man mindestens“, sagt der Gründungsberater vom Genossenschaftsverband. Eine eG mit nicht mehr als 20 Mitgliedern muss nicht einmal einen Aufsichtsrat ernennen. „Aber die Kompetenzen müssen da sein“, betont Brauner. Ohne jemanden, der mit Zahlen umgehen könne, müsse man gar nicht erst gründen. „Und es muss engagierte Personen geben, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.“

Der Berater
Interessenvertretungen wie der Genossenschaftsverband bieten motivierten Gründern kostenlose Erstberatungen an. In diesem Gespräch wird die grobe Geschäftsidee schon besprochen. „Der Berater prüft dann, ob die eG überhaupt die geeignete Rechtsform ist“, sagt Brauner.

Der Masterplan
Der konkrete Businessplan ist das Herzstück der Beratung, denn an ihm hängt auch die steuerliche Grundlage des Unternehmens. „Viele Vereine agieren zum Beispiel heute schon in Geschäftsbereichen, die der Rechtsform nicht entsprechen“, sagt Brauner. Eine eG könne unter Umständen auch gemeinnützig sein – zum Beispiel als Privatschule oder Kinderkrippe –, dann seien die Einnahmen sogar steuerfrei.

Die Satzung
Gemeinsam mit dem Berater wird das Regelwerk der Genossenschaft ausgearbeitet: die Satzung. In vielen Fällen genügten die Mindestinhalte, für die es auch Muster gebe, sagt Brauner. „Bei größeren Genossenschaften ist es aber sinnvoll, ein paar Regeln mehr hineinzuschreiben. Dann müssen die weniger gut informierten Mitglieder nicht immer im Genossenschaftsgesetz nachlesen, wenn sie etwas wissen wollen.“ In der Satzung kann zum Beispiel stehen, wie eine Generalversammlung abläuft und welche Mehrheiten für gültige Beschlüsse nötig sind.

Die Unterzeichnung
Beim ersten Teil der Gründungsversammlung aller Mitglieder wird die vorher festgelegte Satzung von den Mitgliedern unterzeichnet. „Damit ist die Gründung vollzogen“, sagt Brauner.

Die Wahl
Nachdem die Genossen die Satzung unterschrieben haben, wählen sie in einer offenen Wahl die Vorstände und den Aufsichtsrat. „Diese müssen natürliche Personen sein“, sagt der Gründungsberater. Mit dieser Wahl ist die erste Generalversammlung abgeschlossen.

Die Prüfung
Mindestens zwei Prüfer aus dem Genossenschaftsverband sehen sich noch einmal alle Unterlagen ganz genau an. „Wir machen eine gutachtliche Aussage, dass alles seine Ordnung hat“, sagt Brauner. Auch der Hintergrund der Genossen wird überprüft; sie müssen erklären, dass keine Strafverfahren gegen sie anhängig sind. „Im Zweifel werden auch Führungszeugnisse eingeholt.“

Die Eintragung
Alle Unterlagen werden mit einer Beglaubigung vom Notar elektronisch an das Registergericht gesandt. Normalerweise gibt es keine Einwände mehr, und die Genossenschaft wird ins Register aufgenommen. „Manchmal mussten wir aber noch einen Namen abändern, weil er dem Gericht zu verwechselbar war“, sagt der Gründungsberater.

Die Begleitung
Nun ist die Genossenschaft geschäftsfähig und wird Mitglied in einem Genossenschaftsverband. Üblicherweise ist es jener, der auch die Gründung begleitet hat. Die Beratung höre mit der Gründung nicht auf, auch im laufenden Geschäft könne man sich jederzeit an den Verband wenden, sagt Brauner. „Es gehört zum genossenschaftlichen Auftrag, dass die Verbände neue Mitglieder unterstützen.“ Verpflichtend ist die Mitgliedschaft in einem Prüfverband, mindestens alle zwei Jahre werden Genossenschaften überprüft und bei Bedarf auch das Geschäftsmodell überarbeitet. „Die meisten sind froh über diese kontrollierende Instanz“, sagt Brauner. Ab einer Bilanzsumme von zwei Millionen Euro im Jahr muss man sogar alle zwölf Monate Einsicht in die Unterlagen gewähren.

Der Arbeitsbeginn
Nun sind die Formalitäten abgeschlossen, und die Genossenschaft kann mit der Arbeit anfangen. „Theoretisch könnte der ganze Prozess nur sieben Tage dauern“, sagt Brauner. Meistens brauchte man aber länger, da etwa bei Energiegenossenschaften auch externe Gutachten nötig seien. Wie lange es auch dauert: Die Gründung muss gefeiert werden. Zum Beispiel mit einem selbstgebrauten Bier.

Text für eine Infografik im Verlagsspezial „Genossenschaften“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung