Zehn Jahre lang hat er über Plastik recherchiert, um einen Film zu drehen, den man am liebsten nie gesehen hätte: „Plastic Planet“. Ein Interview mit dem österreichischen Regisseur Werner Boote.

Plastik und der Mensch. Diese Beziehung war lange ungetrübt. Das leichte, widerstandsfähige, vielfach einsetzbare und günstige Material ist immer präsent: In allen Lebensbereichen sind wir mit verschiedenen Kunststoffen verschweißt, wir haben Plastik in unser Herz geschlossen. Und zwar tatsächlich, sagt Werner Boote.. Der Regisseur des Dokumentarfilms „Plastic Planet“ hat es am eigenen Leib erfahren, als er sein Blut analysieren ließ: Darin waren alle möglichen toxischen Stoffe, die Plastik freisetzen kann.

Gefährliche Weichmacher, die Krebs erregen oder den menschlichen Hormonhaushalt durcheinander bringen – bis zur Unfruchtbarkeit. Wir alle tragen Plastik in uns: Kunststoffe werden im Meer zu „Plastik-Plankton“ zerrieben, es ist in unserem Essen und unseren Getränken, selbst in unseren Autos atmen wir giftige Stoffe ein. Mit all unserem Plastik könnte man sechsmal die Erde umwickeln. Eine künstliche Verpackung, die unseren Planeten erstickt.

Foto: Kevin Dooley

Zehn Jahre lang hat Werner Boote über Plastik recherchiert. Er hat einen Film gedreht und ein Buch veröffentlicht, in dem er die Geschichte der Kunststoffe aufarbeitet, die Ausmaße der Plastik-Produktion greifbar macht und den Schaden, den unser Konsum an der Umwelt und unserer Gesundheit anrichtet, zeigt.

Über all diese Zusammenhänge könnte Boote wohl tage- oder wochenlang referieren. Viel lieber redet er aber über die positiven Entwicklungen, die sein Film angestoßen hat. „Ich bin eben schwer optimistisch“, sagt der Regisseur. Im Interview spricht er über die Macht des Konsumenten, die Kraft der Innovation und das Hoffen auf das, was man wohl „ökonomische Moral“ nennen könnte.

Ihr Film ist keine leichte Kost, Herr Boote. Auch für einen Optimisten wie Sie muss es also schwere Zeiten während der Dreharbeiten gegeben haben. Wann haben Sie gedacht, Sie wären am Tiefpunkt?

Da gab es natürlich mehrere, frustrierende Momente: Einmal zum Beispiel, als wir den Plastik-Strandball analysierten. Ich brauchte für den Film ein Symbol, eine Art roten Faden. Darum ging ich in einen Laden und kaufte einen Plastik-Planeten. Immer wieder ließen wir das Ding durchs Bild rollen, es war überall dabei. Irgendwann wollten wir testen, welche gefährlichen Substanzen in unseren Sachen stecken. Der Plastik-Ball war eine logische Wahl. Natürlich hoffte ich insgeheim, dass er einwandfrei sein würde. Er war ja ein zufälliges Ding unter Millionen. Aber die giftigen Stoffe, die wir fanden, überschritten die Grenzwerte um ein Vielfaches. Das war schon ein Schlag.

Später bei den Dreharbeiten filmten wir in einem koreanischen Supermarkt. Es ist niederschmetternd, wenn man mit dem Wissen, das wir gesammelt haben, da drin steht: Rund um einen herum schwärmen die Leute aus in eine bunte Plastikwelt – und kaufen, kaufen, kaufen. Da fragt man sich nur: „Was machen wir hier, was soll das Ganze?“

Foto: Polycart

Was lässt Sie trotzdem hoffen?

Dass Veränderungen oft überraschend einfach sind: Vor dem Filmstart haben wir zwanzig Babyschnuller gekauft und analysieren lassen. In 19 von 20 Schnullern fanden wir den gefährlichen Weichmacher Bisphenol A. Das löste eine Welle der Empörung aus, auch in Deutschland. Bei uns in Österreich gab es keine Babyschnuller mehr in den Regalen. Wenige Wochen später waren sie wieder da – und plötzlich alle frei von BPA. Man sieht, die Hersteller können das, wenn sie nur wollen.

Auch das Plastiktüten-Verbot in den Vereinigten Arabischen Emiraten ist ein gutes Beispiel: Müll ist ein riesiges Problem dort. Bisher verendete eines von drei Kamelen, weil die Tiere herumliegendes Plastik essen. Nach der Filmvorführung in Abu Dhabi sprach mich der Umweltminister an: Er wollte wissen, was er unternehmen könne. Am liebsten schnell. Innerhalb von acht Tagen wurde ein Verbot von Plastiktüten beschlossen.

Ihr Film regt aber nicht nur Politiker, sondern auch Konsumenten wie mich zum Umdenken an.

Ja, ganz viele tolle Aktionen gehen von Konsumenten aus: Eine österreichische Familie beschloss, ein Experiment zu wagen und verzichtete kurzerhand auf sämtliches Plastik in ihrem Haushalt. Daraus entstanden wieder neue Projekte wie plastikfrei.at – eine Plattform für plastikfreie Alternativen im Alltag. Aber nicht nur als Konsument kann man etwas tun. Auch Künstler können etwas beitragen. Jedes Foto, das unser Plastik-Problem veranschaulicht, kann schon wieder andere bewegen und neue Ideen anstoßen.

Trotzdem kann man sich als Einzelner sehr machtlos fühlen gegenüber der Plastik-Industrie. Haben die Hersteller denn kein Gewissen?

Das Problem liegt im System der Plastik-Produktion: Beispielsweise erfährt ein Produzent von Plastik-Flaschen nie, was in den Pellets, die er verwendet, wirklich drin ist. Betriebsgeheimnis. Selbst wenn er sie auf gefährliche Substanzen testen wollte, hätte er es schwer: Man kann nur testen, was man kennt. Aber die Kunststoff-Erzeuger wollen nicht einmal angeben, welcher Anteil ihrer Inhaltsstoffe „neu“ beziehungsweise „unbekannt“ ist.

Und dann wird natürlich überall optimiert, oft auch illegal: Lieferanten haben mir erzählt, dass sie zu den Fabriken fahren und im großen Stil Ausschussware kaufen. Also Kunststoffe, die all diesen Standards nicht entsprechen, die für das Endprodukt wichtig wären. Sie fahren das Zeug über die Grenze, etikettieren es um und verkaufen es weiter.

Foto: Smabs Sputzer

Die EU-Verordnung REACH soll da unter anderem Abhilfe schaffen – die Sicherheit von 30.000 chemischen Inhaltsstoffen soll überprüft werden und es werden genaue Angaben von der Chemie-Industrie gefordert. Was halten Sie davon?

Ich war euphorisch, als ich von den Plänen hörte – und eher geknickt als ich sah, was daraus am Ende geworden ist. Da wurden viele Zugeständnisse gemacht; ganz im Sinne der Industrie natürlich. Man darf nicht vergessen, welches Lobbying die Verbände betreiben. Doch die EU-Kommissarin Margot Wallström, die ich im Film ziemlich aggressiv angegangen bin, hat es richtig formuliert: Es geht nur Schritt für Schritt für Schritt.

Auch Bio-Plastik ist für viele ein Hoffnungsschimmer. Kann das die Lösung sein?

Es ist eine Möglichkeit von vielen – am Ende können wir aber auch über die Sicherheit dieser Kunststoffe noch nicht viel sagen. Gerade bei Verpackungen für Lebensmittel müssen wir dringend Alternativen finden. Aber ganz ohne Plastik geht es nicht, das weiß auch ich. Es gibt viele Bereiche, in denen es einfach das beste Material ist. Wir müssen lernen, damit umzugehen und uns vom gedankenlosen Einsatz der Kunststoffe verabschieden. Da sind die Designer gefragt.

Und die Plastik-Industrie?

Die ist schon angestachelt. Im Prinzip leben wir in einer Goldgräber-Zeit: Die Konsumenten fordern mehr und mehr ökologisch vertretbare Materialien. Das ist ein riesiger Markt, wir reden von unvorstellbaren Gewinnen. Ein Hersteller, der sich jetzt auf die Suche macht, kann auf eine Goldgrube stoßen.