Theo Jansen einen Erfinder zu nennen, wäre stark untertrieben. Er ist ein erfindender Künstler, ein Visionär. Wenn er sagt, dass er sich wie ein Gott fühlt, dann ist das kein Narzissmus.

Er hat eine Verantwortung und ist getrieben: Von der Idee, Strandtieren aus Plastikrohren das Leben zu schenken.

Um zu verstehen, was Theo Jansen für ein Künstler ist, muss man den Menschen zuhören, mit denen er arbeitet. Es sind ganz wenige Auserwählte, denn eigentlich arbeitet er allein. Wie kam es nun dazu, dass er Loek van der Klis, der Jansens Arbeit fotodokumentarisch begleitete, an seiner Vision teilhaben ließ?

Van der Klis beschreibt es am besten selbst, in Jansens Buch The Great Pretender: „Als ich Theo zum ersten Mal dabei beobachtete, wie er mit den Elementen rang – auf einem Strand bei Scheveningen – da ging mir ein Licht auf (…) Theo kroch unter etwas, was für mich damals noch aussah wie ein Durcheinander von Rohren, hievte es auf seinen Rücken und stapfte auf den Strand hinaus. Als das Ding endlich positioniert war, wurde es vom Wind erfasst und es began, sich zu bewegen. Theo ging daneben her. Und so auch ich – die Kamera in der Hand. Plötzlich zerbrach irgendwas und Theo fragte mich „Halten Sie mal?“ So hat alles angefangen.“

So wie der Fotograf seit diesem einen Moment am Strand gefangen wurde vom Zauber der Strandtiere, so geht es jedem, der erstmals eines von ihnen über den Sand krabbeln sieht. Stehen sie still, sind sie nur ein riesiges, kompliziertes Konstrukt aus gelben Plastikrohren; doch sobald der Wind kommt, erwachen sie zum Leben.

Tausende Tiere im Kampf gegen die Fluten

Dass der natürliche Lebensraum dieser Tiere der Strand sein würde, war kein Zufall. Hier kommt Theo Jansen Hintergrund als Physiker und Erfinder ins Spiel. Denn die bauen Sachen, die gebraucht werden. Jansen, der seit über zwanzig Jahren eine Kolumne in der niederländischen Zeitung de Volkskrant schreibt, versprach darin, dass er sich eines Problems annehmen würde. Eines Problems, das den Niederländern am Herzen liegt: Der stetig steigende Meeresspiegel, der irgendwann ihren Lebensraum überfluten könnte.

Er stellte sich vor, dass tausende Strandtiere den Sand der Dünen aufstocken könnten und so einen natürlichen Schutzwall produzieren. Sie sollten nicht anderes tun, als Sand in die Luft zu wirbeln und den Wind den Rest machen zu lassen. Sie sollten sich selbstständig und frei leben können, keinerlei Nahrung brauchen und auch keinen Abfall verursachen. Der Wind, der Wind, sollte ihr Verbündeter sein. Das war 1990.

Noch sind die Strandtiere aber nicht fähig, alleine zu überleben. Der Wind ist oft zu kräftig und am Strand herrschen noch andere Gefahren: Dünen, Wellen, die Flut. Jansen musste viel experimentieren mit dem Material der gelben Plastikrohre. Er brauchte Jahre, bis er auf die Idee kam, eine Hitzepistole zu verwenden, um sie zu formen. Manchen guten Ratschlag von befreundeten Physikern ignorierte er, nur, um über einen anderen Weg schließlich doch auf dasselbe Ergebnis zu kommen. Zwischendrin wurde er dem Material auch untreu und verwendete Metall oder Holzpaletten. Das Ergebnis waren monströse, tonnenschwere Kreaturen, die einer Kriegsszene aus Herr der Ringe entsprungen sein könnten.

Franklin Heijnen (CC BY-SA 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/)

Franklin Heijnen, (CC BY-SA 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/)

Nerven aus Plastik

Doch Jansen kam zurück auf Plastikrohre. Er vergleicht sie mit den Proteinen, aus denen unser Körper besteht. Auch aus diesem billigen, gelben Material kann er fast alles machen (und mit Schläuchen und Kabelbindern). Der Künstler hat es im Laufe der Jahre geschafft, dass seine Tiere mit einem „Magen“ aus Plastikflaschen, die als Luftspeicher fungieren, ohne fremden Antrieb losgehen können. Sie können ihre Erbinformationen – die unglaublich wichtigen Daten zur Länge der verschiedenen Bein-Elemente – speichern und auf andere Tiere übertragen.

Die weiter entwickelten Tiere haben inzwischen ein „Gehirn“, das mit „Nerven“ verbunden ist: Kleine Plastikschläuche, die entweder Luft einsaugen oder nicht. So können die Tiere selbstständig feststellen, wenn ihr „Fühler“ von Wasser umspült wird – und drehen um. Aber nicht nur das: Sie merken sich mit Hilfe eines Schrittmessers genau die Stelle, an der sie mit Wasser in Berührung gekommen sind. Und machen denselben Fehler nicht noch einmal. Sogar die Flut kann ihnen nichts mehr anhaben, denn eine Reihe von Zeitschaltuhren sagt ihnen, wann eine Laufrichtung nicht mehr sicher ist.

Er kommt nicht mehr los

Das klingt zu abenteuerlich, um wahr zu sein. Zur Erinnerung: Es handelt sich nicht um elektronische Roboter – keine Chips, keine Software. Nur Plastik. Doch wenn man Jansens Buch von der ersten bis zur letzten Seite ließt, nimmt er einen behutsam mit auf eine wilde Reise der Schöpfung.

Jansen liebt seine Tiere, doch er weiß, dass sie ihn auch benutzen. Aus der Sicht der Tiere ist der phantastische Erfinder nur ein Mittel zum Zweck. „Sie zwingen mich, sie zu erschaffen. Zuerst haben sie mich krank gemacht, krank vor Liebe zu ihnen. Ich lag nächtelang wach. Ich war auch meiner Frau und meinen Kindern kein guter Gefährte, wenn ich schweigend beim Frühstück saß und in die Luft starrte.“

Er gibt sich noch dreißig Jahre, etwa bis er neunzig ist. Bis dahin möchte er ein Tier erschaffen, dass die größte Überlebenschance hat: Ein Rollwurm. Er soll sich nur ein paar Zentimeter im Jahr bewegen und der Wind soll ihm nichts anhaben können, weil er so nah am Boden lebt. „Wenn es ein Tier gibt, das meinen Tod überleben wird, dann ist es der Rollwurm.“