Twitter, Xing, Google+ und Apps: Wir sind technisch so bewandert wie keine Generation vor uns. Ein (fast) unbezahlbarer Vorteil im Job. Den wir dringend besser nutzen sollten.

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Der Geschäftsführer nannte ihn gerne „meine technische Hilfe-Taste“. Egal, ob der Treiber für den Drucker fehlte, das E-Mail-Programm zickte oder jemand ein Problem mit Word hatte: Alle riefen Thorsten Kurz. Der auszubildende Informatiker hatte noch nicht einmal seinen Führerschein, da war er bei den Wiesbadener Verkehrsbetrieben schon ein unersetzbarer Ansprechpartner. Quer durch alle Abteilungen schätzte man ihn für seine schnelle Hilfe.
So lernte er auch den älteren Kollegen kennen, der ihn zu sich ins Marketing holte. „ Dass hätte ich mir natürlich nie erträumt“, sagt Kurz. „Mein erstes eigenes Projekt nach der Ausbildung war gleich der Aufbau unserer Website.“ Eine ziemlich große Aufgabe für einen ziemlich jungen Mann. „Das hat mich zwar etwas überfordert, aber die vertrauten mir, dass ich das hinbekomme.“ Hat er auch.

Deswegen vertraute der kaufmännische Geschäftsführer dem 28-jährigen Marketing-Mann auch wieder, als er sein vierzig Seiten langes Konzept vorstellte: über die Einführung von Social-Media-Maßnahmen der ESWE Verkehr. „Wir waren uns einig, dass wir uns darum kümmern müssen.“ Seitdem leitet Kurz sämtliche Social-Media-Auftritte des Unternehmens, hält Kontakt mit den Kunden, konzipiert Kampagnen und produziert auch mal selbst ein Video für den YouTube-Kanal. Ganz nebenbei betreut er das Intranet und hilft weiterhin jedem, der seinen Kalender mit dem Smartphone verknüpfen möchte. Weil er es kann.

Kurz ist das, was man einen „Digital Native“ nennt. Er ist mit dem Internet aufgewachsen, seine technischen Werkzeuge gehen über Excel und Power Point weit hinaus.
Kurz’ sicherer Umgang mit dem Web 2.0 macht ihn zu einem extrem gefragten Arbeitnehmer: „Gerade Unternehmen, die ihr Geld mit IT oder im Internet machen, suchen händeringend nach Talenten“, sagt Miriam Gebremicael, Inhaberin der Hamburger Personalberatung stelldichein. Eine Google-Suche beherrsche heutzutage jeder, sagt die Headhunterin. Aber die Kombination von Fachwissen und ausgeprägten, technischen Fähigkeiten sei rar: „Digital Natives bedienen die modernen Werkzeuge intuitiv und haben auch keine Angst vor neuen Technologien.“ Unternehmen brauchen solche Leute, um innovativ und wettbewerbsfähig zu bleiben.

Für Thorsten Kurz endet der Tag nicht damit, dass er seinen Mac bei der Arbeit herunterfährt, sondern er bleibt „auf dem Heimweg, spätabends und sogar im Urlaub“ weiter erreichbar. Auf dem iPhone dringende Kundenfragen zu beantworten, die Fachblogs in seinem Feedreader durchzugehen oder in Xing-Gruppen über Branchentrends zu diskutieren, gehört zu seiner Freizeit.

Arbeitspsychologen würden wohl aufschreien angesichts solcher Gewohnheiten. Schon jetzt fühlt sich nach einer Bitkom-Studie jeder dritte Deutsche von der Informationsflut überschwemmt. Allerdings gilt das vor allem für Ältere, nur jedem siebten Unter-30-Jährigen geht das ähnlich. Aber in genau dieser Gruppe finden sich vermutlich auch Angehörige einer kleinen, trotzigen Bewegung: Die Offliner und Technikverweigerer. Die Rede ist nicht von unterprivilegierten Dorfleuten, in deren Heimat es kein Breitbandinternet gibt. Und nicht von Generationen, die noch blind eine Schreibmaschine bedienen könnten. Sondern von gebildeten Kindern der Achtziger, die ihr Handy „sowieso nur zum Telefonieren benutzen“, Visitenkarten würdevoller finden als ein LinkedIn-Profil und sagen, dass man Geschäftspartner lieber „im echten Leben“ trifft, statt ihre Fundstücke bei Google+ zu kommentieren. Sie wollen arbeiten wie die Leute vor fünfzehn Jahren – mit ein bisschen E-Mail. Die Sehnsucht nach der entspannten Vergangenheit ist verständlich. Aber sie ist nicht empfehlenswert, denn sie verhindert einen Wettbewerbsvorteil.

Besser als die erfahrenen Manager

Es hat sich eine wahre Beratungsindustrie darum gebildet, die besten Talente vom Markt abzuschöpfen. Johanna Scheffer macht genau das. Im Xing-Profil der 23-Jährigen steht „Project Manager Employer Branding“. Höchstens fünf Minuten dauert es, bis sie auf eine Interviewanfrage antwortet. „Das ist Berufskrankheit ;-)“, schreibt sie per Mail. Sie steuert die Arbeitgebervermarktung der Bertelsmann AG in sozialen Netzwerken, organisiert Karriereveranstaltungen und bleibt online mit den Kandidaten in Kontakt. Sie weiß wie junge Talente sind – denn sie ist selbst eines. Ihr Praktikum bei Bertelsmann machte sie, weil sie über einen Tweet darauf aufmerksam wurde. Bei den Social-Media-Aktivitäten der Personalmarketing-Abteilung hat sie sich dann „auch nicht ganz ungeschickt angestellt.“ Also folgte auf das Praktikum gleich eine verantwortungsvolle Stelle bei der Medienfabrik Gütersloh, einer Tochterfirma des Konzerns.

Scheffer ist froh, dass der Umgang mit dem Computer seit der Kindheit selbstverständlich für sie ist. „Es macht meine Arbeit leichter, wenn ich mit den Entwicklern unserer App sprechen kann, ohne jedes zweite Wort googeln zu müssen. Und wenn ich weiß, wie das Endergebnis aussehen sollte.“ Digital Natives hätten einen Kompetenzbonus, findet sie. „Im Gegensatz zum klassischen Marketing sind uns die älteren Manager auf diesem Gebiet ausnahmsweise nicht voraus.“

Dass manche ihr Zusatzwissen gar nicht richtig verkaufen, beobachtet Scheffer täglich. „Viele Kandidaten sehen in ihren technischen Fähigkeiten gar nichts Besonderes. Und sie machen zu wenig im Internet auf sich aufmerksam.“ Die Angst vor den schnüffelnden Personalern bei Facebook sei Quatsch, in Karrierenetzwerken würden sie aber sehr wohl nach Kandidaten suchen. Wo man nicht gefunden wird, wenn man nicht dabei ist.

Unsichtbar sein ist keine Karrierestrategie

Bei gleicher Qualifikation kann die Online-Reputation den entscheidenden Unterschied machen: „Wenn ich von einem Bewerber im Internet schon interessante Blogbeiträge gelesen habe und etwas über seine Projekte erfahre, weiß ich einfach mehr über ihn. Das ist natürlich ein Vorteil“, sagt Christoph Fellinger. Der Personalmarketing-Experte der Beiersdorf AG ist begeistert in sozialen Netzwerken unterwegs und bloggt unter anderem darüber, wie Unternehmen es schaffen, diese jungen Talente, die bei ihm „Millennials“ heißen, an sich zu binden.

Noch ein Name für all jene, die seit der Jahrtausendwende auf den Arbeitsmarkt drängen. Die Kompetenzen, die sie über Jahre ganz nebenbei mit Surfen, Bloggen und Chatten erworben haben, verschaffen ihnen eine unschlagbare Verhandlungsposition. Ob sie nun nach flexiblen Arbeitszeiten, flachen Hierarchien oder Lohn für Leistung statt Präsenzkultur streben: Die echten Talente hätten mehrere Angebote und würden ordentlich fordern, sagt die Headhunterin Gebremicael.

Laut einer Studie der Consulting-Firma Accenture sucht sogar ein Viertel der deutschen Millennials den Arbeitsplatz auch nach technischer Ausstattung aus. „Junge Mitarbeiter erwarten bei Smartphone und Laptop dieselbe Topausstattung, die sie aus ihrem Privatleben kennen. Klingt simpel, ist für einen Konzern aber nicht selbstverständlich“, erzählt Fellinger von der Beiersdorf AG.

Gut vernetzt und effizient

Die jungen Digitalen sind bei Unternehmen aus gutem Grund so beliebt: Denn obwohl sie auch während der Arbeitszeit bei Facebook Videos von sehr süßen Faultieren verlinken, sind sie ziemlich produktiv: Meetings organisieren sie schnell mit einem Doodle, statt zwei Stunden die Abteilungen abzutelefonieren. Ihre Aufgaben tragen sie in cleveren Apps mit sich herum, statt sich mit handschriftlichen To-Do-Listen zu verzetteln. Wenn man sie lässt, eröffnen sie gezielt einen Gruppenchat statt die Posteingänge mit „Allen Antworten“ vollzuspammen. Präsentationen sehen bei ihnen dank Prezi und Photoshop sogar gut aus. Und ihr Wissen teilen sie gerne – in Blogs, Wikis oder dem Intranet.

Dieses neue Denken ist für die Anforderungen der modernen Wirtschaft genau richtig: „Es geht nicht um einzelne Programme, die man beherrschen muss. Sondern darum, dass man sich alles schnell aneignen kann, im Internet sicher recherchiert und für jedes Problem eine kreative Lösung findet“, sagt Fellinger. Notfalls eben, indem man sein riesiges Netzwerk anzapfe.

Dass Social Media kein vergänglicher Trend ist, den man ignorieren kann, glaubt auch Dr. Bastian Pelka von der Sozialforschungsstelle der TU Dortmund. Der Soziologe und Medienforscher spricht stattdessen von einem „neuen Kommunikationsparadigma“. Im Internet wird eine andere Sprache gesprochen. Und wer die Grammatik nicht beherrscht, bekommt die Hälfte nicht mit. Derzeit gäbe es noch „erhebliche Unterschiede“, auch unter jungen Menschen. Manche würden sich regelrecht gegen das vernetzte Arbeiten sträuben. „Dabei betrifft Social Media nicht nur Leute im Marketing oder in den Medien. Inzwischen bleibt davon kaum ein Wissensarbeiter unberührt“, sagt Pelka. Denn ein großer Teil unserer Arbeit werde sich künftig in sozialen Netzwerken und dem Internet abspielen, prognostiziert er.

Das Werkzeug für die Arbeit von morgen

Sechstausend Kilometer weiter westlich, an der Wharton School in Philadelphia, bereitet der amerikanische Professor Kartik Hosanagar die Manager der Zukunft auf diese Arbeitswelt vor. Sein Seminar „Enabling Technologies“ behandelt alle Gebiete des Online-Marketings, vom boomenden App-Markt bis hin zu den Geschäftsmodellen von IT-Startups. Begleitend müssen die Teilnehmer bloggen und twittern. „Wer in unserer vernetzten Wirtschaft Geschäfte machen will, muss laufend mit Technik interagieren“, sagt der junge Professor, der selbst mehrere IT-Startups berät. „Manager müssen Technik verstehen und wissen, wie sie ihnen dabei hilft, effektiv zu arbeiten.“

Wenn die Studenten seinen Kurs verlassen, sind sie fit für die Arbeit in den großen IT-Konzernen. Oder aber sie machen ihr eigenes Ding: Wie Jack Abraham, der mit zwölf Jahren seinen ersten Code schrieb. Vor etwas über einem Jahr hat er sein Produktverzeichnis Milo.com an eBay verkauft. Für 75 Millionen Dollar.

Man muss ja nicht gleich Programmieren lernen. Aber man sollte schleunigst aus der technischen Schmollecke rauskommen. „Online-Kompetenz ist keine Frage des Alters, sondern der Haltung“, sagt Christoph Fellinger von Beiersdorf. „Ihnen wird wahrscheinlich auf Anhieb die Mutter von jemandem einfallen, die mehr Ahnung vom Internet hat als Ihr gleichaltriger Kollege.“

Neugier gewinnt. Wiebke Heyder würde das sofort unterschreiben. Die 42-Jährige war nach einem schweren Fahrradunfall außer Gefecht gesetzt, ihr Arbeitgeber kündigte ihr daraufhin „aus wirtschaftlichen Gründen“. In ihrem Alter sei es leider schon nicht mehr einfach, eine neue Stelle zu finden, sagt die Marketing-Expertin. Schon gar nicht mit dieser Hintergrundgeschichte. „Aber weil ich gerne etwas Neues ausprobiere, habe ich mir spontan diese Facebook-Sache ausgedacht.“ Die Idee, ihr Jobgesuch als Fanseite zu veröffentlichen, war einfach und genial. Und weil sie sich mit ihrer Aktion auch noch gezielt an Karriereblogs wandte, wurde daraus schnell ein Selbstläufer.

Ihr Bewerbungserfolg bestärkte sie darin, sich weiter mit Social Media zu beschäftigen und sich mit einem Fernstudium über Online-Marketing weiterzubilden. „Meinen jetzigen Job habe ich letztlich nicht über Facebook gefunden, aber die Seite war eine tolle Referenz“, sagt Heyder. Wer heute im Marketing sei, müsse sich zwingend mit Social Media befassen. „Sogar, wenn man wie ich bei einem Hörgerätehändler arbeitet; kaum zu glauben.“

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