Der Trend zur vollwertigen Breinahrung schwappte aus dem Silicon Valley auch zu uns herüber, und die Hersteller versprechen viel: Es wird so viel Zeit sparen, sagen sie. Und Energie obendrein. Es ist ja so gesund, sagen sie auch. Aber kann man das aushalten, nur noch Brei zu essen?


Nichts schmeckt so gut, wie ein reines Gewissen sich anfühlt. Das sagt mir mein Gehirn. Doch leider verkündet mein Magen, dass er dieses Stück Sachertorte mit Sahne vor mir auf dem Tisch ziemlich gerne verdauen würde. Sofern ich sein grantiges Knurren richtig interpretiere.

Es ist der fünfte Tag meines Versuchs und ich habe mir inzwischen abgewöhnt, zu kauen. Die anderen Eltern auf dem Kindergeburtstag sehen mich mit einer Mischung aus Abscheu und Neugier an, als ich zu meiner giftgrünen Flasche mit dem Shakerball greife. Mit Hilfe dieser drahtigen Metallkugel habe ich meine dritte Breimahlzeit des Tages cremig geschüttelt : Eine halbe Portion Bertrand-Pulver mit Orangensaft, bereit zum Schlürfen.

Ich trinke und schmecke die gewohnt samtige-säuerliche Note von Haferflockenpüree mit Fruchtsaft. Ich beiße auf kleine Mandelstückchen und schlucke den Brei. Warum, fragt mich mein Publikum, tue ich mir das denn an? Eine Woche lang ein Nahrungspulver essen, dreimal täglich – ohne einen einzigen Bissen normaler Lebensmittel? Ohne wenigstens vom Geburtstagskuchen zu kosten?

Und so erzähle ich die Geschichte: Ein junges Unternehmen aus Deutschland entwickelt ein Mahlzeitenpulver namens Bertrand, das den Nährstoffbedarf eines durchschnittlichen Erwachsenen angeblich zu hundert Prozent decken kann. Weil ihm Bioqualität und Natürlichkeit wichtig sind, verwendet der Gründer Tobias Stöber dafür nicht, wie andere Pulverproduzenten, synthetischen Vitamine – sondern echte Lebensmittel, die fein zermahlen werden. Ich finde das spannend und teste darum sieben Tage lang, ob man sich damit ausschließlich ernähren kann.

Weniger Müll machen

Die Gründe, warum jemand ein Pulver wie Bertrand zu seinem Hauptnahrungsmittel macht, sind vielfältig. Manche empfänden Kochen generell als Belastung, erklärt mir Stöber. Viele wollen nur die fettigen Fertiggerichte, die sie in der Eile am Schreibtisch in sich hinein schlingen, durch eine ausgewogene Mahlzeit ersetzen. Seine Frau, die auch im Unternehmen arbeitet, trinkt Bertrand, wenn sie neben Job und Kleinkind mal wieder keine Zeit hat, wirklich gesund für sich zu kochen. Meine Gründe sind andere: Ich will meinen ökologischen Fußabdruck bei der Ernährung verbessern.

Am ersten Tag öffne ich gespannt den kompakten Karton, der auf meiner Kücheninsel steht. Darin finde ich mein Essen für eine ganze Woche – verpackt in sieben folienbeschichtete Beutel. Die Zubereitung meiner ersten Breimahlzeit ist denkbar einfach: „Für Bertrand braucht man nur das Pulver und Wasser aus der Leitung“ sagt Stöber.  Wäre ich Single und würde einen Trichter benutzen, um das körnige Breipulver in die Flasche zu füllen, bräuchte ich meine Küche wohl kaum noch zu putzen – oder könnte überhaupt auf die Küche verzichten. Auf den Restmülleimer übrigens wohl auch: „Am Ende eines Tages streicht man seinen Beutel glatt und hat 18 Gramm Verpackung in der Hand“, sagt Stöber, als ich ihn nach den ökologischen Vorteilen von Bertrand frage.

Vegan war noch nie so einfach

Der BIO-Hersteller kauft seine Zutaten möglichst regional ein, in großen Mengen und verarbeitet sie teils direkt in der eigenen Mühle. Die Transportwege sind, bis auf die Reise der fertig abgepackten Beutel zu den Kunden, sehr kurz. „Wenn man bedenkt, wie viel die Leute für ihre alltäglichen Lebensmitteleinkäufe herumfahren, spart man damit viel CO2 ein“, sagt Stöber. Auch beim Kochen, Braten und Backen verbraucht man normalerweise sehr viel Energie.

Das sollte mich eigentlich überzeugen. Trotzdem befällt mich schon am Morgen des zweiten Tages eine leichte Panik, als ich an mein Frühstück denke. Zum Kaffee ein Honigbrot – das ist eine meiner geliebten Gewohnheiten. Aber dann denke ich wieder daran, dass ich mich doch wenigstens eine Woche lang gleichzeitig gesund und mit gutem Gewissen ernähren wollte. Ich schmiere also nur meiner kleinen Tochter ihr Brötchen mit Butter und öffne für mich selbst den nächsten Beutel Bertrand. Abends gehe ich zu meinem wöchentlichen Kraulkurs und fühle mich unbeschwert wie selten.

Beim Gedanken an die Tiere ist mir auch leichter ums Herz: Noch nie war eine ausgewogene, vegane Ernährung so einfach für mich.

Ich habe ja schon versucht, mich und meine Familie vegan zu ernähren und war einige Monate lang richtig konsequent. Abgesehen vom Tierleid, das ich dadurch vermeiden konnte, zählte für mich, dass bei dieser Ernährung weniger CO2-Ausstoß entsteht, dass Regenwälder nicht wegen uns für die Soja-Futterproduktion abgeholzt werden müssen und dass man für pflanzliche Nahrung weit weniger Wasser und Ackerflächen verbraucht als für tierische Lebensmittel. Irgendwann kamen wir aber vom Weg ab, alte Gewohnheiten und Geschmäcker schlichen sich wieder ein.

Wo bleibt die Lust?

Bei einem Nahrungspulver wie Bertrand muss man sich gar nicht überlegen, wie man die Eier in Pfannkuchen ersetzt– man isst ja keine. Aber reicht diese Mischung aus Haferflockenmehl, zerriebenem Sanddorn, Algenstückchen, Pilzmolekülen und Reisproteinen auch aus, um sich wirklich gesund zu ernähren?

Die Ernährungswissenschaftlerin Sibylle Adam sagt: Jein. Sie hat aufgrund der Zusammenstellung keine gesundheitlichen Bedenken bei Bertrand, solange man es nur über kurze Zeit oder als Ergänzung esse. „Für die dauerhafte Ernährung ist eine große Vielzahl von natürlichen, frischen Lebensmitteln aber immer die gesündeste Variante“, sagt Adam. Nur mehr fertig verarbeitetes Pulver anzurühren, gefällt ihr aus einem weiteren Grund nicht:  „Kochen ist ein Kulturgut, dass wir bei so einer Ernährung auf Dauer verlieren würden“, sagt sie. „Und die Vielfalt der Geschmäcker wäre weg.“

Die Zähne fallen nicht so schnell aus

Mein Zahnarzt gibt bei der Prophylaxe jedenfalls Entwarnung: Meine Zähne werden nicht ausfallen, wenn ich nicht mehr kauen muss. Aber würden wir über Generationen so essen, würden wir vermutlich mehr und mehr Zähne zurückbilden. Steinzeitmenschen mussten viel mehr kauen als wir, ihre Nahrung war zäh und hart. Darum hatten sie neun Zähne auf jeder Seite, wir mit unserem weichgekochten Essen heute nur noch sieben. Das ist nun kein schlimmer Verlust, aber kann man eine Dauerernährung mit Bertrand überhaupt psychisch durchhalten?

Manche von Stöbers Kunden haben überhaupt keine Probleme damit. Mir fällt es schwer, denn ich bin der Typ „Lust- und Frustesserin“. Einkaufen, Kochen und Essen sind keine lästigen Pflichten für mich. Wenn ich Zwiebeln schnipple, kann ich gut abschalten, ich beuge mich gern über dampfende Kochtöpfe und beobachte Kartoffeln beim Schmoren im Ofen. Am Herd stehe ich trotz des Pulvers weiterhin jeden Tag, weil ich für meine drei Kinder immer noch warme Mahlzeiten zubereite. Als leidenschaftliche Köchin würde ich das ernsthaft vermissen, aber nicht so sehr, wie ich mich spätestens am dritten Abend nach meinen kleinen Extras sehne: ein Eis oder ein Stück Käse mit Trauben, das sind meine Belohnungen nach einem harten Tag. Kurz nach Beginn meiner Brei-Diät haben mein vier Jahre alter Sohn und seine kleine Schwester Fieber bekommen und verlangen nun ganz viel elterliche Aufmerksamkeit – ich könnte so ein Stück Schokolade zwischendurch also wirklich gut gebrauchen.

An den Tagen mit Bertrand muss ich meine Erschöpfung aber irgendwie anders mildern, ganz ohne Knabbereien: mit einem heißen Bad, einer Folge „House Of Cards“ oder Sex – eine Idee von meinem Mann. Ihm kommt entgegen, dass ich mir am vierten Abend ein Glas Rotwein gönne und sofort betrunken bin.

Auf leeren Magen kann das schon mal passieren. Selbst mit vielen kleinen Portionen Bertrand erreiche ich nämlich nicht  den üblichen Tagesbedarf von 1800 Kilokalorien für eine Frau – obwohl die vegane Variante sogar 2060 liefern würde. Innerhalb der ersten fünf Tage nehme ich zweieinhalb Kilo ab, was man eigentlich nicht sollte.

Aber ich schaffe meist keinen ganzen Beutel am Tag, denn ich greife nur zum Pulver, wenn ich unbedingt essen muss. Dabei versuche ich alles, um mir Abwechslung zu verschaffen: als Müsli mit warmer Reismilch, gemischt mit Heidelbeerkonzentrat oder als Karottenshake verzehre ich mein Bertrand. Stöbers Tipp, Kaffee mit dem Pulver zu mischen, ist mir aber doch zu abenteuerlich.

Lust und Essen stehen für mich in keiner Beziehung mehr.

Erst am sechsten Tag stoße ich schließlich auf die anderen Geschmacksrichtungen neben der naturbelassenen Version: Heidelbeere und Vanille. Hätte ich doch mal den Karton bis ganz unten durchgewühlt!

Auch das feine Vanillearoma kann mir jedoch gegen Ende meines Tests eine Tatsache nicht versüßen: Ich mag einfach keinen Brei. Lust und Essen stehen für mich in keiner Beziehung mehr. Das hat etwas Gutes: Ich bekomme so wieder ein Gefühl dafür, wann mein Magen wirklich Nahrung braucht und wann es nur das Verlangen nach Geschmack ist, das mich zum Kühlschrank treibt.

Am Ende bin ich das Breitrinken gewöhnt, wie man das Zähneputzen gewöhnt ist. Auch mein Körper erledigt bis auf den Gewichtsverlust die Breiverdauung problemlos, ich habe keine Beschwerden. Hin und wieder einen Bertrand-Tag einlegen, um sich schnell und gesund zu sättigen und wieder ein besseres Hungergefühl zu bekommen? Das kann ich mir jetzt vorstellen. Ich könnte es vielleicht sogar noch ein bisschen durchhalten, nur dieses Nahrungspulver zu essen.

Doch am Abend des siebten und letzten Tages beende ich den Selbstversuch trotzdem vorzeitig. Eine Freundin feiert nämlich ihren Abschluss in Veterinärmedizin und hat uns in eines der besten Restaurants der Stadt eingeladen. Es wäre wirklich unhöflich, das abzulehnen, gurrt mein Magen. Wie recht er doch hat.